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Auch im Zeitalter von Düsenjets und Hochgeschwindigkeitszügen bereisen Menschen mit Segelyachten die Weltmeere. Die archaische Fortbewegung mit der Kraft des Windes übt nach wie vor einen seltsamen Reiz aus.
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"Ich höre den Wind in der Takelage pfeifen, ich höre das Wasser an die Bordwand schlagen. (…) Lange Minuten verbringe ich an Deck und betrachte die Schaumblasen, die im Kielwasser aufsteigen. Es gibt so viel zu sehen in den Schaumblasen und in dem Wasser, das an der Bordwand entlangstreicht!" Diese Zeilen notierte im Jahr 1968 Bernard Moitessier, einer der berühmtesten französischen Segler.
Er nahm damals an einem Rennen teil, das die britische Zeitung "Sunday Times" veranstaltet hatte. Die Teilnehmer sollten allein auf ihren Booten, ohne Zwischenhalt oder Hilfe von außen einmal die Erde umkreisen, und das auf der schwierigen Route der alten Segelschiffe, vorbei am Kap der Guten Hoffnung, an der Südküste Australiens und am berüchtigten Kap Hoorn, zurück zum Startpunkt in der britischen Hafenstadt Plymouth. Von neun Männern, die an den Start gegangen waren, erreichte nur einer das Ziel, der Brite Robin Knox-Johnston.
Moitessier hingegen, der nach der gefährlichen Umrundung von Kap Hoorn überlegen in Führung gelegen war und dem der Sieg und damit das Preisgeld von 5000 Britischen Pfund - eine beachtliche Summ für jene Zeit - sicher gewesen wären, verzichtete auf die Rückkehr nach Europa. "Ich kann die falschen Götter des Westens nicht mehr ertragen", notierte er. "Wie die Spinnen liegen sie stets auf der Lauer, um unsere Seelen zu zerfressen, unser Mark auszusaugen." Deswegen änderte er kurzerhand seinen Kurs, verzichtete auf den Sieg in Plymouth und segelte stattdessen nach Tahiti.
Wegen dieser Entscheidung gegen den sportlichen Ehrgeiz und für die Poesie der See wurde der eigenwillige Franzose, der den Sieg dem Engländer überlassen hatte, zunächst in seiner Heimat als Ver-räter angesehen. Doch viele andere sahen in ihm bald eine Leitfigur, die ganze Generationen prägte. "Ich wusste", schreibt er an anderer Stelle in sein Journal, "dass meine Reise weit gehen würde, aber ich konnte nicht wissen, dass sie noch viel weiter führen würde, mitten in die unangreifbaren Axiome der See und der Zeit. Schon vier Monate nichts als Himmel und Sterne, frische Winde, Kalmen und Sturmböen, gefolgt von Windstillen."
Die Begeisterung für die See alleine ist allerdings zu wenig zum Segeln. Über Jahrhunderte hinweg war es nur wenigen Menschen möglich, sich ein seetüchtiges Schiff zuzulegen, und Fahrten auf hoher See waren eine schwierige und entbehrungsreiche Beschäftigung, die vor allem Seeleuten und Fischern vorbehalten blieb. Zwar wurden immer wieder Yachten gebaut, also Schiffe, die dem Vergnügen, nicht der Arbeit dienten, doch das blieb der kostspielige Luxus von Königen, später auch des hohen Adels und einiger weniger Millionäre, die es den hohen Herrschaften gleichtun wollten. Der deutsche Kaiser Wilhelm zum Beispiel, der von dem Gedanken besessen war, England auf den Meeren Konkurrenz zu machen, war zwischen 1887 und 1914 Besitzer von fünf stolzen Yachten, die alle "Meteor"
hießen und an erlesenen Yachtrennen mit handverlesener Crew teilnahmen. Die Industriellenfamilie Krupp, die ebenfalls dieses Vergnügen hochhielt, ließ sich zwischen 1908 und 1967 sechs Yachten der Serie "Germania" bauen.
Im zwanzigsten Jahrhundert wurden kleine Segelboote dann nach und nach auch für Privatpersonen erschwinglich. So machten wohlhabende Freunde Albert Einstein zu seinem fünfzigsten Geburtstag am 14. März 1929 ein ganz besonderes Geschenk: einen Jollenkreuzer. Rudolf Kayser, der Schwiegersohn, begleitete den damals schon weltberühmten Physiker auf seinen Törns im Süden von Berlin und beschreibt die Faszination des Segelns am Beispiel seines Schwiegervaters: "Während seine Hand das Ruder hält, erläutert Einstein mit Freude seinen anwesenden Freunden seine neuesten wissenschaftlichen Ideen. Er führt das Boot mit der Geschicklichkeit und Furchtlosigkeit eines Knaben. Er hisst die Segel selbst, klettert im Boot herum, um die Taue und Leinen zu straffen, und hantiert mit Stangen und Haken, um das Boot vom Ufer abzulegen. Das Vergnügen an dieser Beschäftigung spiegelt sein Antlitz, es klingt in seinen Worten und in seinem glücklichen Lachen wider."
Doch wäre der Jollenkreuzer von Albert Einstein, der übrigens 1933 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurde, auf keinen Fall ein hochseetaugliches Schiff gewesen. Solche Schiffe wurden für den Mittelstand erst in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erschwinglich, als es die moderne Kunststofftechnik erlaubte, seetüchtige Schiffe zu überschaubaren Preisen herzustellen. Und in jener Zeit verbreitete sich der Drang, hinaus auf die See zu gehen, wie ein Fieber: Unzählige Schiffswerften und Segelschulen entstanden, die das bis dahin Seeleuten vorbehaltene Fachwissen zugänglich machten. Damit wuchs die Begeisterung, die in Veranstaltungen wie dem "Golden Globe Race" gipfelten, das zu gewinnen sich Bernard Moitessier dann weigern sollte.
Einer der Pioniere des modernen Yachtbaus im Kunststoffzeitalter war übrigens ein Österreicher. Georg Hinterhöller, der nach Kanada ausgewandert war, entwarf dort die 7,31 Meter lange "Shark 24", die seit dem Jahr 1959 in Serie gebaut wird und ihre Seetüchtigkeit bei mehreren Atlantiküberquerungen bewiesen hat.
Seit jenen Tagen ist aus dem modernen Yachtgeschäft eine große Industrie geworden, die Schiffe in allen Größenordnungen und für jeden Geschmack liefert. Segelschulen, Charterfirmen und der Ausbau moderner Marinas haben aus dem Segeln ein Freizeitvergnügen für die Masse gemacht, das kaum noch Berührung mit den einsamen Abenteuern eines Mannes wie Bernard Moitessier hat.
Doch das Meer und der Wind sind immer noch dieselben geblieben und regieren auf riesigen Teilen der Erde alleine, ohne sich um die Spielregeln der Menschen zu kümmern. Oder wie Moitessier schreibt: "Helle Himmel und blutrote Sonnenuntergänge über einer See, die von Macht und Licht funkelt und dir ihre ganze Kraft, ihre ganze Wahrheit schenkt."
Bücher zum Thema.
Seemannschaft. Handbuch für den Yachtsport. 790 Seiten, 41,10 Euro. Verlag Delius Klasing, Bielefeld. Die 29. Auflage, erscheint im Jänner 2011.
Der Klassiker, der seit achtzig Jahren immer wieder überarbeitet und neu aufgelegt wird. Darin werden alle wichtigen Aspekte des Segelns im Überblick behandelt, vom Yachtbau über das Regattasegeln bis zur Navigation.
Jürgen Bock: Yacht-Seemannschaft. Das große Pietsch-Handbuch. 447 Seiten, 19,95 Euro. Verlag Pietsch, Stuttgart 2007.
Interessante Alternative zur "Seemannschaft", deren Autor sich vor allem auf den Umgang mit dem Boot konzentriert und Themen wie Wetter und Navigation ausspart.
Bernard Moitessier: Der verschenkte Sieg. Aus dem Französischen von Wolfgang
Rittmeister. 259 Seiten, 12,40 Euro. Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2007.
Der Bericht einer kühnen Weltumseglung aus dem Jahr 1968 ist wegen seiner menschlichen Tiefe und sprachlichen Intensität bis in unsere Tage unübertroffen.
Hans Mühlbauer: Traumreviere für
Chartersegler. 190 Seiten, 19,95 Euro. Verlag Pietsch, Stuttgart 2006
Tipps für Segeltörns auf gecharterten Booten in aller Welt, Malediven, Hawaii oder Ärmelkanal.