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Fließende Gewässer sind in Wien zum Wahlkampfthema geworden.
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Wiens Bäche hat man schon länger nicht mehr gesehen. Die meisten wurden Ende des 19. Jahrhunderts versiegelt und in den Untergrund verbannt. Doch nun werden Stimmen laut, die fordern, die Wiener Gewässer wieder an die Oberfläche zu holen. Die Bäche sind zum Wahlkampfthema 2020 geworden.
Den Anfang machte die, nur in Neubau antretende, Partei Wandel. In ihrem Wahlprogramm heißt es, dass der Ottakringerbach an die Oberfläche geholt werden soll. Am Mittwoch zogen die Neos nach. Die Als soll zumindest teilweise wieder aufgegraben und oberirdisch geführt werden, forderte Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr am Mittwoch. Doch auch die Schaffung eines neuen Brigittenauerbachs entlang des Dammes der Nordwestbahn schwebt ihm vor. Dabei soll auf bestehende, aber unterirdisch verlaufende Bäche zurückgegriffen werden.
Kühlungspotenzial
Im Mittelpunkt der Idee steht, abseits von idyllischen Vorstellungen, das Kühlungspotenzial der Gewässer. Die Sommertemperaturen sind in Wien in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt stark gestiegen. Hitzeinseln entstehen meist in Bereichen, die sich durch einen hohen Versiegelungsgrad, sprich dichte Bebauung und wenig Grünflächen, auszeichnen. Im Jahr 2019 starben laut der Agentur für Ernährungssicherheit in Österreich 198 Personen den Hitzetod. Die oberirdische Führung der Bäche soll helfen, die Temperaturen in der Stadt abzusenken. Effektiv wäre das aber freilich lediglich im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen.
Eine nachhaltige Abkühlung der Stadt kann nicht durch einzelne Maßnahmen, wie etwa Nebelduschen oder - ebenfalls von den Neos vorgeschlagenen - Gassen-Rinnsale, erfolgen, erklärt Isabel Auer von Weatherpark, einer Forschungseinrichtung, die Städte im Umgang mit der Klimaerwärmung berät und entsprechende Maßnahmen erarbeitet. "Am wirksamsten ist eine Kombination aus möglichst vielen Maßnahmen, etwa eine aus Nebelduschen mit der zeitgleichen Pflanzung von Bäumen." Wie eine Stadt auf diese Maßnahmen reagiert, hänge aber immer von den lokalen Bedingungen ab.
Im Falle von fließendem Gewässer ergibt sich durch den Effekt der Verdunstungskühlung eine spürbare Abkühlung. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen der Lufttemperatur und der gefühlten Temperatur. Während die Lufttemperatur nur durch intensives Begrünen merklich zu reduzieren ist, kann die gefühlte Temperatur gut durch solche individuellen Maßnahmen reduziert werden.
Liesingbach in Arbeit
Am klimatologisch wirksamsten ist das Pflanzen von Bäumen, betont Meteorologin Auer. Sprühnebel, wie er durch die, von den Grünen aufgestellten, Nebelduschen verteilt wird, ist nur lokal wirksam.
"Bäume haben aber den entscheidenden Vorteil, dass sie zusätzlich Schatten spenden." Generell seien die Initiativen der Stadt zu begrüßen, sagt Auer. Inwieweit das Offenlegen von Wiens Bächen die Temperatur in der Stadt beeinflussen würde, ist laut Auer aber momentan schwer zu sagen. Auch würde nicht jede Maßnahme an jedem Ort Sinn machen, sie müssen immer an den jeweiligen Standort und die Gegebenheiten angepasst werden. Dass freiliegende Gewässer, vor allem fließende, eine positive Auswirkung auf das Stadtklima haben, stehe aber fest.
An einem anderen Bach wird demnächst intensiv weitergearbeitet: Die MA 45 (Wiener Gewässer) setzt ab Oktober 2020 die Renaturierungsmaßnahmen für den Liesingbach fort, der auf 18,4 km durch das Wiener Stadtgebiet fließt. Dadurch sollen sich mehr Grünraum und eine verbesserte Wasserqualität ergeben. Ende 2027 soll das laufende Projekt abgeschlossen sein.