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Beate Zschäpe bestreitet vor Gericht, Teil der deutschen Neonazi-Terrorgruppe NSU gewesen zu sein. Sie will stets erst im Nachhinein von den insgesamt zehn Morden erfahren haben.
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München/Wien. Zweieinhalb Jahre schwieg Beate Zschäpe beharrlich. 248 Verhandlungstage vergingen im Prozess um die Neonazi-Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" ohne Aussage der Hauptangeklagten. In dieser Zeit war die 40-Jährige aber alles andere als untätig: Sie bootete ihre drei Anwälte Heer, Stahl und Sturm aus, ignorierte sie demonstrativ und forderte mehrfach deren Ablösung wegen angeblichen Vertrauensverlusts. Letzteres gelang ihr jedoch nicht. Einen ostentativ freundlichen Umgang pflegte sie hingegen mit dem hinzugekommenen Anwalt Mathias Grasel. Zschäpe vermittelte während des gesamten Prozesses, wen und was sie will.
"Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie"
Willenlos, schwach und unschuldig. Das hingegen war das Bild, das Beate Zschäpe am Mittwoch von sich zeichnete. Anwalt Grasel las im Münchener Gerichtssaal eine 53-seitige Erklärung seiner Mandantin, in der Ich-Form abgefasst, vor. Jene zehn Morde von 2000 bis 2007, 15 Raubüberfälle und zwei Sprengstoffanschläge, die dem NSU zugerechnet werden, seien von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen worden. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt", ließ Zschäpe ausrichten. Nicht einmal Teil des NSU will sie gewesen sein: Der Name sei eine Erfindung von Mundlos gewesen, höchstens Böhnhardt könne noch hinzugerechnet werden. Die Männer begangen nach einem missglückten Einbruch im ostdeutschen Eisenach 2011 Selbstmord.
"Die beiden waren meine Familie", so Zschäpe. Sie schilderte eine trostlose Kindheit in der damaligen DDR, Streitereien mit der Mutter und Alkoholprobleme. An ihrem 19. Geburtstag habe sie Uwe Böhnhardt kennengelernt und sich in ihn verliebt. Liiert war sie zu dem Zeitpunkt allerdings mit Uwe Mundlos. 1998 tauchten sie zu dritt unter und blieben bis 2011 unentdeckt. Die Morde wurden lange nicht dem neonazistischen Milieu zugeordnet und als "Döner-Morde" medial verharmlost, haarsträubende Pannen und Ermittlungspraktiken der Verfassungsschützer wurden später öffentlich. Während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, Zschäpe sei zumindest gleichberechtigt, wenn nicht sogar die starke Frau im Hintergrund gewesen, die die beiden Männer unter Kontrolle gehabt habe, dreht die Angeklagte den Spieß um: "Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie."
Folgt man Zschäpes Argumentation, war diese Abhängigkeit dafür verantwortlich, dass sie das Morden ihrer beiden Lebensmenschen akzeptierte. Von den Taten gegen acht türkisch- und einen griechischstämmigen Migranten sowie eine Polizistin habe sie stets erst im Nachhinein erfahren. "Stundenlang" habe sie auf die beiden eingeredet, mit dem Töten aufzuhören. Zschäpe habe nach eigenem Bekunden auch mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen und das Leben im Untergrund zu beenden. Doch Mundlos und Böhnhardt haben nicht nur mit Selbstmord für diesen Fall gedroht, sondern weiter gemordet - und das, obwohl sie Zschäpe ein Ende des Tötens versprochen hätten. Dabei gebraucht Beate Zschäpe ein erstaunliches Verb für ihre Reaktion: Sie sei "enttäuscht" von Mundlos und Böhnhardt gewesen. Nicht empört, entsetzt oder fassungslos.
Es sind Details wie diese, in denen Zschäpes Strategie der Bagatellisierung ihrer eigenen Rolle offenkundig mit der nötigen Empathie für die Opfer kollidiert. Von strafrechtlicher Bedeutung ist das nicht, und in dieser Hinsicht gibt es für Zschäpe ein klares Ziel: weg vom Vorwurf der Mittäterschaft, die bis zu 20 Jahre Haft bedeuten würde, hin zur Beihilfe.
Keine ideologische Distanzierung
Auch lässt die Angeklagte jegliche ideologische Distanz zu den Taten vermissen. "Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und allen Angehörigen der Opfer der von Mundlos und Böhnhardt begangenen Straftaten. Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte", liest der Anwalt vor. Nirgends erwähnt Zschäpe, dass die Opfer aufgrund einer rassistischen Ideologie sterben mussten und dass sie auch dies bedaure. Über ihren eigenen Weg in die Neonazi-Szene verrät sie nur so viel: Mit der Liebschaft zu Böhnhardt und durch seine Freunde sei sie in Kreise gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als das Umfeld von Mundlos.
Als "konstruierte Reue, der der Ton von Reue und Einsicht total abgeht", bezeichnete die Doyenne der deutschen Gerichtsreporter, Giesela Friedrichsen, Zschäpes Auftritt. "Sie "hat sich um Kopf und Kragen geredet", gibt die "Spiegel"-Journalistin ein vernichtendes Urteil.
Empört reagierten Angehörige der zehn Mordopfer und deren Anwälte: "Die angebliche ‚Entschuldigung‘ für die Taten von Mundlos und Böhnhardt nehme ich nicht an", sagte etwa Gamze Kubasik, deren damals 39-jähriger Vater 2006 in seinem kleinen Dortmunder Geschäft erschossen wurde. Tatsächlich versuchen Zschäpe und ihr Anwalt Grasel, die Opferanwälte zu behindern, indem sie nur Fragen des Gerichts und von Verteidigern der Mitangeklagten beantworten wollen, und zwar schriftlich. Akzeptiert Richter Manfred Götzl, der den Prozess bis Dienstag unterbrach, diesen Vorstoß, wäre das ein erstaunliches Zugeständnis an die willensstarke Zschäpe.