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Sie kommen von einem weiten Weg her: Vor zehn Jahren waren Estland, Lettland und Litauen noch Sowjetrepubliken, heute sind sie Beitrittskandidaten zur Europäischen Union mit beachtlichen Erfolgen. Ihre Wirtschaften boomen, so dass manche schon von den "kleinen Tigerstaaten" sprechen. Das macht die Balten selbstbewusst: Sie drängen in EU und NATO - nicht zuletzt, weil sie sich von der neuen amerikanisch-sowjetischen Freundschaft bedroht fühlen.
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Eines war auffallend bei der Eigen-Präsentation der drei Baltischen Staaten, die bei der Konferenz "Die Baltischen Staaten, Österreich und die EU-Erweiterung" (veranstaltet vom Europäischen Forum Alpbach gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich) Anfang der Woche in Wien stattfand: Eine junge dynamische Politikergeneration, teilweise bereits in Schweden oder den USA ausgebildet, ist dort am Zug, die stolz darauf ist, dass der oft schmerzhafte Reformprozess von einer Kommando- zu einer Marktwirtschaft sichtbare Früchte zeigt. Die drei Länder sind allesamt Vorzugsschüler in der Kandidatenriege für die Erweiterung, das zeigen die wirtschaftlichen Eckdaten (siehe Kasten) und das hat ihnen eben erst die Kommission in den Fortschrittsberichten bestätigt. Und sie haben es eilig: 2004 wollen sie dabei sein. Sollte es nicht gelingen, dann sehen sie die Schuld bei der EU und ihren Mitgliedern, die ihre Vorbereitung auf die Beitrittswelle verschleppen.
Estland, das seit 1998 verhandelt, hat 19 Kapitel abgeschlossen, Lettland und Litauen, die erst 2000 in die Verhandlungen einbezogen wurden, je 18. Für die kommenden heiklen Kapitel - darunter Energie, Landwirtschaft, Verkehr und Finanzen - fordern sie "Flexibilität" von Seiten der Union. Estlands Wirtschaftsminister Henrik Hololei: "Die Lösungen der Probleme müssen länderspezifisch vorgenommen werden. Ansonsten ist es schwer, den EU-Beitritt innenpolitisch zu verkaufen. Man darf die politische Sensibilität in den Kandidatenländern nicht überstrapazieren."
So ist die drei- bis vierfache Erhöhung der Zigarettenpreise durch die Tabaksteuer den Letten (mit 40 Prozent Rauchern) und den Litauern (25 Prozent Raucher) ein Problem, das negative Auswirkungen auf das Ergebnis des Beitrtts-Referendums haben könnte. "Wir erwarten Flexibilität und Realitätssinn," mahnt auch Petras Austrevicius, der litauische Chefverhandler, deshalb ein.
Die Litauer haben einen noch unbewältigten großen Brocken im Energiekapitel: Sie müssen das AKW Ignalina schließen, dazu brauchen sie die finanzielle Hilfe der EU - zwischen 5 und 10 Milliarden Euro. Es handelt sich um einen Tschernobyl-Reaktor, "den ein anderer Staat (die Sowjetunion) auf unserem Gebiet gebaut hat," präzisiert Austrevicius das Problem, das die Litauer mit der Atomruine haben, die ihren eigenen Energiebedarf zu 80 Prozent deckt und noch Exporte in die Ukraine und Weißrussland sichert. Die EU verlangt die Schließung, eine Konferenz über die Mitfinanzierung des Unterfangens brachte aber kein Ergebnis. "Die Schließung ist aber keine nationale Frage, sondern eine europäische."
Mit dem Beitritt der baltischen Staaten wird die EU eine direkte Grenze zu Russland bekommen. Russland ist aber nach wie vor ein wunder Punkt für die Balten. In der Zwischenkriegszeit unabhängig, wurden sie durch den Hitler-Stalin-Pakt zu Sowjetrepubliken. Die vor zehn Jahren erreichte neue Unabhängigkeit wurde blutig erkauft - was angesichts der singenden und samtenen Revolutionen in den "Satellitenstaaten" oft vergessen wird. Noch heute betrachten die Russen die baltischen Staaten als inländisches Ausland. Besonders Estland hat dazu noch eine große russische Minderheit (40 Prozent der Bevölkerung). Erst vor wenigen Tagen hat der russische Außenminister in einem Interview verkündet, dass die drei Baltenrepubliken nicht der NATO beitreten sollten. Das wollen diese aber noch unbedingt vor ihrem EU-Beitritt schaffen. Deshalb verfolgen sie die russisch-amerikanische Annäherung nach dem 11. September eher skeptisch: "Wir müssen in die NATO, um nicht wieder ein Handelsobjekt zwischen Großmächten zu werden oder ein Niemandsland zwischen Russland und der EU", unterstreicht die estnische sozialdemokratische Parlamentarierin Liis Klaar. Und sie erklärt die Skepsis über die Annäherung zwischen Wladimir Putin und George W. Bush aus der historischen Erfahrung: "Jeder solche Deal hat seinen Preis. Welcher Preis ist es diesmal?!"