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Die Baptistin im Weißen Haus

Von Franz Graf-Stuhlhofer

Gastkommentare

Prägt die Konfession der US-Vizepräsidentin Kamala Harris ihre politische Einstellung?


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Kamala Harris, die Stellvertreterin des Katholiken Joe Biden, ist Baptistin. Der Begriff "Baptist", der als Bezeichnung einer Konfession in Österreich nicht geläufig ist, bedeutet "Täufer" und bezeichnet eine Glaubensgemeinschaft, in der keine Kleinkinder getauft werden, sondern Menschen, die sich zu Jesus Christus bekennen. Die eigene, freie Glaubensentscheidung ist ein wesentliches Kennzeichen von Baptisten.

Rund 30 Millionen Menschen in den USA sind Baptisten. Diese große Bewegung ist vielgestaltig. Somit lässt sich auch schwer sagen, welchen politischen Standpunkt "die Baptisten" vertreten. Es wäre voreilig zu denken, dass sie zur demokratischen Partei tendieren, auch wenn Bill Clinton und sein damaliger Vizepräsident Al Gore Baptisten sind, außerdem Ex-Präsident Jimmy Carter, der - ebenso wie der Baptistenpastor Martin Luther King - den Friedensnobelpreis erhielt. Vermutlich gibt es unter weißen Baptisten eher eine Tendenz zu den Republikanern, unter schwarzen Baptisten dagegen zu den Demokraten.

Baptisten taufen durch das Untertauchen gläubig gewordene Menschen, die selbst den Wunsch äußern, getauft zu werden. In Europa lassen sich viele Kinder baptistischer Eltern als religionsmündige Jugendliche taufen, in den USA jedoch deutlich früher, oft bereits im Volksschulalter. Viele bezeichnen sich später auch dann noch als "Baptisten", wenn ihr späterer religiöser Lebensweg anders verläuft und sie in keiner Baptistengemeinde aktiv sind. Das wäre dann vergleichbar mit österreichischen "Taufschein-Katholiken". Mitunter zeigt sich die baptistische Glaubensüberzeugung nicht so sehr darin, dass der Betreffende von seiner persönlichen Beziehung zu Gott erzählt, sondern vor allem in einem Engagement für soziale Gerechtigkeit: Bei Kamala Harris sehen wir, dass sie das Anliegen der Befreiungstheologie aufgreift oder Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter erläutert.

Manche Eigenheiten von US-Christen gehen auf Erfahrungen der Vergangenheit zurück. Viele ihrer Vorfahren verließen das religiös intolerante Europa, weil sie hofften, ihre jeweilige Glaubensüberzeugung in Nordamerika frei leben zu können. Roger Williams war 1639 Mitbegründer der ersten amerikanischen Baptistengemeinde und entwarf für Rhode Island eine Verfassung, in der erstmals die Trennung von Kirche und Staat festgeschrieben wurde: Der Staat sollte dem einzelnen Bürger keinen bestimmten religiösen Glauben vorschreiben (wie es damals in Europa noch weitgehend der Fall war).

Solche traditionellen Vorbehalte gegen einen starken Staat wirken noch in der Gegenwart weiter, sodass vor allem die Freiheit des Einzelnen betont wird, weniger die - nur durch einen einflussreichen Staat erreichbare - soziale Absicherung aller. Und auch der ausgeprägte Patriotismus (Harris: "I am a proud, patriotic American") hängt mit dieser Ursprungserfahrung zusammen: Die USA gewähr(t)en Glaubensfreiheit, und dafür sind unter anderen die Baptisten dankbar - und sehen etwa kein Problem darin, im Gottesdienstsaal vorne eine große US-Flagge aufzustellen (trotz Trennung von Kirche und Staat). Das wäre in österreichischen Kirchen undenkbar.