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Die barfüßigen Kinder des Pfaus

Von Hülya Tektas

Politik

Schwieriges Verhältnis zu muslimischen Kurden.


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Der heiligste Ort der Yeziden: Lalisch im Nordirak.
© Tektas

Wien. Spartanisch ist die kleine Wohnung im Caritasheim. Viel Persönliches haben Muraz Afo Avdalyan und seine Frau Zerif in ihrem Wohnzimmer stehen. Nur zwei Insignien geben Aufschluss darüber, woher dieses Paar stammt und welcher Religion es angehört: eine Pfaufigur aus Porzellan auf dem Fernseher und das Foto einer fernen Stadt an der Wand. Lalisch heißt der Ort. Das Tal im Nordirak ist der heiligste Ort für die Yeziden (Jesiden), eine religiöse Minderheit innerhalb der kurdischen Community.

Weltweit gehören rund 800.000 Menschen dem yezidischen Glauben an. Sie leben vorwiegend in der autonomen Region Kurdistan im Norden des Iraks. Muraz Afo Avdalyan blüht auf, wenn er über seine Religion spricht, die in Europa noch relativ unbekannt ist.

Seit elf Jahren lebt Avdalyan nun gemeinsam mit seiner Frau in Wien, wo er sich in erster Linie als Scheich um die religiösen und geistlichen Belange der Yezidi-Gemeinde in Österreich kümmert. Mal spricht er Gebete bei Geburten und Begräbnissen, mal segnet er frisch verheiratete Paare und tauft Neugeborene. Der 59-Jährige kümmert sich auch darum, dass die yezidische Religion und Tradition weitergegeben werden.

Die Wurzeln der monotheistischen Religion des Yezidentums reichen 4000 Jahre zurück. Allerdings wurde die Religion bisher ausschließlich mündlich überliefert.

Die Konvertierung zum Yezidentum ist nicht möglich. Man wird als Yezide geboren. Avdalyan weist jedoch auf eine Erklärung eines Yezidi-Scheichs aus Lalisch hin: "Jeder Kurde, der sich im Herzen als Yezide fühlt, wird als solcher akzeptiert, da das Yezidentum die ursprüngliche Religion der Kurden ist."

"Gott, schütze zuerst 72 Nationen, dann uns"

Im Gegensatz zu anderen monotheistischen Religionen gibt es im Yezidentum keine Vorstellung von Paradies und Hölle. Dementsprechend glauben die Yeziden an die Seelenwanderung. Die zentralen Elemente des Yezidentums sind "Tawusi Melek" (Engel Pfau) und der Pilgerort Lalisch in der autonomen Region Kurdistan, wo sich das Grab des Scheichs Adi, der das Yezidentum im 12. Jahrhundert reformierte, befindet. Die Pilgerfahrt nach Lalisch ist für alle Yeziden Pflicht.

Engel Pfau, das Oberhaupt der Engel, ist nach yezidischem Glauben an der Entstehung der Menschheit aktiv beteiligt. Die Anbetung des Engels Pfau wurde von orthodoxen Muslimen als Teufelsanbetung interpretiert, obwohl im yezidischen Glauben die Personifizierung des Bösen ganz und gar fehlt. Das Wort "Tawusi Melek" könnte laut dem kurdischen Schriftsteller Rohan Miran, der sich zum Yezidentum bekennt, vom kurdischen Wort "taw" stammen, das Sonnenstrahlen bedeutet. Die Sonne spielt in der yezidischen Religion eine wichtige Rolle. So wenden sich die Yeziden der Sonne zu, wenn sie ihre Gebete sprechen.

Auch das Feuer wird als Vertreter der Sonne auf Erden von den Yeziden verehrt. Miran erklärt, dass im yezidischen Glauben die Verehrung der Natur und deren Elemente Wasser, Luft, Feuer und Erde als Quelle des Lebens wesentlich ist. Aus Respekt zur Natur und um sie nicht zu verschmutzen, betreten Yeziden Lalisch barfuß.

Miran betrachtet die Yezidentum als sehr tolerante Religion, deren Toleranz er gegenüber allen Lebewesen und allen anderen Glaubensrichtungen auf die Verehrung der Natur zurückführt. "In unserem Gebet sagen wir: "Gott, schütze zuerst 72 Nationen und dann uns", will auch Scheich Avdalyan die Toleranzthese bestätigt wissen.

Yeziden in Österreich gespalten

Er betet, segnet und tauft: Scheich Avdalyan.
© Mehmet Emir

Der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für kurdische Studien, Politikwissenschafter Thomas Schmidinger schätzt die Anzahl der in Österreich lebenden Yeziden auf einige Hundert Personen. Vor kurzem sorgte eine Falschmeldung in einer yezidischen Zeitung für ein Missverständnis, laut der das Yezidentum in Österreich als Religionsgemeinschaft anerkannt worden wäre. Schmidingers Angaben zufolge gib es in Österreich zwei yezidische Vereine sowie andere yezidische Gemeinschaften, die nicht offiziell als Verein eingetragen sind.

Ein Konfliktpunkt der Yeziden in Österreich liegt in ihrem Verhältnis zum Kurdentum. "Wenn man die Sprache als Kriterium für die Ethnizität heranziehen würde, könnte man sagen, dass die Yeziden Kurden sind, weil bis auf wenige Ausnahmen fast alle Yeziden Kurdisch sprechen. Aber die Verfolgungen der Yeziden durch muslimische Kurden und auch die Tatsache, dass früher viele Völker in der Region, in der Yeziden lebten, sich über die Religion identifizierten, führt heute dazu, dass manche Yeziden sich als eigene Ethnizität ansehen" meint Schmidinger. Auch das Thema Heiratsregeln spaltet die Community. Im yezidischen Glauben fällt nämlich jemand, der keinen Yezidi seiner Kaste heiratet, vom Glauben ab. Für Schmidinger handelt es sich bei dem Gebot, keine Andersgläubigen zu heiraten, um ein Gebot zum Schutz der eigenen Religion gegenüber Muslimen. "Man wollte untereinander bleiben und Konflikte mit anderen Religionen vermeiden", erklärt Schmidinger. Die strengen Heiratsregeln würden jedoch für eine Gesellschaft im heutigen Europa ein Problem darstellen. Schließlich gäbe es in Österreich manchmal keinen oder nur einen potenziellen yezidischen Heiratspartner, der aus derselben Kaste stammen würde. Dann heißt es improvisieren. Denn auch die barfüßigen Kinder des Engel Pfaus bleiben ungern allein.