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Die Barrieren sind geblieben

Von Petra Tempfer

Politik

Barrierefreiheit ist selbst nach zehn Jahren Behindertengleichstellungsgesetz noch lange nicht erreicht.


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Wien. "Geben Sie mir noch diese 24 Stunden", antwortete Rudolf Hundstorfer (SPÖ) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Behindertengleichstellungsgesetz auf die Frage, ob das nun seine letzte in der Funktion als Sozialminister sei - und bevorzugte dann, zu schweigen. Pressekonferenzen würden aber mit Sicherheit viele folgen. "Das Leben geht ja weiter."

Jene am Donnerstag fand wie gesagt anlässlich des Behindertengleichstellungsgesetzes von 2006 statt, das seit 1. Jänner voll in Kraft ist, weil mit diesem Tag sämtliche Übergangsfristen endeten. Vor zehn Jahren wurde auch die Behindertenanwaltschaft des Bundes eingerichtet. In den zehn Jahren sei viel passiert, sagten Hundstorfer und Erwin Buchinger, der seit 2009 Behindertenanwalt ist. Es sei aber noch immer zu wenig. Tatsache ist, dass selbst mit dem Auslaufen der Fristen eine vollständige Barrierefreiheit noch lange nicht erreicht ist. Von den öffentlichen Gebäuden seien "deutlich mehr als 50 Prozent barrierefrei", so Buchinger - bei den privaten liege der Wert aber weit darunter. Beim barrierefreien Zugang zu Information bemerke er eine positive Entwicklung.

Die Arbeitsmarkt-Situationhat sich verschlechtert

Speziell in der Gastronomie, im Tourismus und im Einzelhandel sei der Nachholbedarf aber enorm. Besonders besorgniserregend sieht es Buchinger zufolge im Bildungsbereich, bei der finanziellen Unterstützung und auf dem Arbeitsmarkt aus. Noch immer gebe es Sonderschulen, so Buchinger, die Idee der Inklusion an den Schulen stagniere. Das Pflegegeld wurde zwar angehoben, insgesamt sei bei der finanziellen Unterstützung aber wenig passiert. Die Arbeitsmarkt-Situation habe sich sogar verschlechtert.

Die Arbeitslosenquote steigt generell, im Dezember 2015 lag sie bei 10,6 Prozent. Die Zahl der behinderten arbeitslosen Menschen ist im Dezember gegenüber dem Vorjahr um 9,3 Prozent gestiegen. Anders ausgedrückt: Etwa 60.000 Arbeitnehmer weisen eine mindestens 50-prozentige Behinderung auf, das entspricht einem Anteil von eineinhalb Prozent. Nur ein Bruchteil der behinderten Menschen geht also einem Beruf nach. Und das, obwohl ein relativer hoher Anteil der EU-Bevölkerung, laut WHO-Studie 15 Prozent, leicht bis schwer behindert ist. Die meisten von ihnen beziehen Pflegegeld oder Invalidenpension, sind also nicht einmal als arbeitslos vorgemerkt.

Vor zehn Jahren habe man sich vom Behindertengleichstellungsgesetz mehr erhofft, sagte Buchinger. Seitdem habe es mehr als 10.000 Beschwerden wegen vermuteter Diskriminierung gegeben, an mehr als 200 Schlichtungsverfahren habe die Behindertenanwaltschaft teilgenommen. Damit es nun nicht noch einmal zehn Jahre dauert, bis die Barrierefreiheit erreicht ist, sollen die Konsequenzen für Diskriminierung verschärft werden. So lag die zumutbare Kostengrenze für einen barrierefreien Umbau bei Altbestand bisher bei 5000 Euro. "Jetzt muss individuell geprüft werden, was zumutbar ist. Die Grenze liegt bei 40.000 bis 50.000 Euro", so Buchinger.

"Eine Verschärfung des Gesetzes ist notwendig"

Dem Präsidenten der Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs, Klaus Voget, ist das zu wenig. Er hält eine Verschärfung des Gesetzes für notwendig, was den rechtlichen Anspruch behinderter Menschen bei Diskriminierung betrifft. Derzeit können diese nämlich nur auf Schadenersatz klagen. Selbst wenn ein Kläger recht bekommt, muss der Verurteilte nur die Schadenersatzsumme zahlen. Einen barrierefreien Zugang schaffen muss er nicht. Laut Voget sollte es künftig bei Diskriminierung zudem Anspruch auf Beseitigung baulicher Hürden oder Unterlassung geben. Letzteres forderte auch Helene Jarmer, Behindertensprecherin der Grünen, in einer Aussendung.

Was die Schadenersatzklagen betrifft, rechnet Hundstorfer heuer mit "einigen Musterprozessen". Kein Handlungsbedarf bestehe jedenfalls bei der Hofburg. Diese sei barrierefrei, sagte Hundstorfer, der heute zum SPÖ-Präsidentschaftskandidaten gekürt werden soll, auf Nachfrage über seine mögliche Wirkungsstätte.