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Zunächst schien alles richtig, weil im (un-)politischen Trend liegend. Doch ob Viktor Klima wirklich so gut beraten war, als er einen Parteiunabhängigen als Spitzenkandidaten ins Rennen
schickte, war seit Wochen schon längst keine Frage mehr. Quereinsteiger haben manchmal etwas erfrischend Neues an sich, aber damit hat es sich dann auch schon meistens. Hans Peter Martin hat nicht
einmal das · und auch nicht das Charisma, das ihm darüber hinweghelfen könnte. Zuletzt ging er selbst seiner Lobby verlustig.
Es war denn auch vor allem die Parteibasis, die der SPÖ ihren Erfolg bei der EU-Wahl beschert hat. Und: Es war vor allem die Wiener Basis hinter Hannes Swoboda, die nicht einsehen mochte, daß die
harte und erfolgreiche Arbeit ihres Spitzenkandidaten mit gerade einem vierten Listenplatz honoriert werden sollte. Viktor Klima hat dies gerade noch begriffen, als er Swoboda am 1. Mai auf der
Tribüne vor dem Rathaus zurief: "Hannes, sie lieben dich!"
Daß diese Bewußtseinsbildung eines eigenen Personenkomitees pro Swoboda bedurfte, zählt zu den peinlicheren Kapiteln dieses Wahlkampfes. Man hätte sie eigentlich als selbstverständlich vorausschicken
können. Denn auch wenn es stimmt, daß erst die Polarisierung zwischen Martin und Swoboda Letzteren erst so richtig in jenes Licht rückte, das seine politische Erfahrung zum Glänzen brachte, so ist
Hannes Swoboda doch der Mann, der aus der Basis kommt. Und nur durch ihn ließen sich insbesondere in Wien Kernwählerschichten noch einmal mobilisieren bzw. mutmaßlich sogar zurückgewinnen.
Aus solcher Kleinmütigkeit lassen sich freilich einige Lehren ziehen. "Die Politiker" erfreuen sich gelegentlich in Umfragen zwar keiner hohen Sympathiewerte, aber wenn's darauf ankommt, billigt
ihnen ein Großteil des Wahlvolks offensichtlich doch immerhin die nötige Kompetenz zu. Und: Es ist zwar sehr schwer geworden, diesem Wahlvolk komplexe Sachverhalte und -zwänge zu erklären, aber wer's
gar nicht erst versucht, wird auf Dauer auch nichts gewinnen. Die Wahlhelfer für Swoboda, die sich in den vergangenen Wochen darum bemüht haben, wissen dies nur allzu gut.
Blieb also die Frage, wie sich die SPÖ-Spitze hinsichtlich der EU-Delegationsleitung aus der eigenen peinlichen Pattstellung herausmanövrieren würde. Daß sie eine politische Entscheidung fällte, war
richtig, denn alles andere wäre ihren Wählern kaum zu erklären gewesen. Dies gilt im übrigen auch für die bevorstehenden Nationalratswahlen: Wer stets nur aus (vermeintlichem) Populismus handelt, muß
irgendwann nicht nur auf peinliche, sondern auch sehr unangenehme Überraschungen gefaßt sein. Politik ist gefordert und die Wahrheit selbst dann zumutbar, wenn sie ihren Preis im Verlust
massenmedialer Streicheleinheiten hat.