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Aufmüpfige Fußtruppen sind im Konzept der Sozialpartnerschaft nicht vorgesehen. Der Konflikt um die Spitalsärzte rührt an einem Tabu.
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Es gibt zwei Lesarten des Aufstands der Wiener Spitalsärzte gegen ein von der Gewerkschaft, der Ärztekammer und der Stadt Wien ausverhandeltes Dienstzeitenmodell für den Krankenanstaltenverbund. Die eine, kalmierende lautet: dass es sich bei dem Streit um eine thematisch begrenzte Auseinandersetzung handelt, die eben nur das Gesundheitswesen betrifft. Nach der zweiten Lesart der Ereignisse deutet der Konflikt einen sehr viel grundsätzlicheren Bruch an: das mögliche Ende der sozialpartnerschaftlichen Konfliktaustragung in Österreich.
Die Ablehnung sozialpartnerschaftlich ausgehandelter Einigungen durch die Basis ist für Österreich ein Tabubruch; die Folgen für das politische System und seine Besonderheiten wären gravierend, sollte dies zur Regel werden.
Sozialpartnerschaft ist, polemisch formuliert, ein Modell für defizitäre Demokratien, lebt sie doch gleichermaßen vom Konsens der Eliten, die sich an der Spitze auf Kompromisse verständigen, einem hohen Organisationsgrad der Interessenvertretungen sowie der unbedingten Gefolgschaftstreue der antagonistischen Fußtruppen. Elitenkonsens bei gleichzeitiger Basiskonkurrenz - so lautet die Erfolgsformel. Nur eines ist in diesem Konzept nicht vorgesehen: dass die Basis sich gegen die ausverhandelten Kompromisse der Eliten stellt. Dann nämlich bricht das gesamt Verhandlungsgebäude in sich zusammen.
Der volkswirtschaftliche Reiz des sozialpartnerschaftlichen Modells liegt in seiner Effizienz. Im Idealfall profitieren Arbeitgeber wie Arbeitnehmer durch konsensuale Lösungen, weil die Kosten für Arbeitskonflikte wie Streik oder Aussperrung vermieden werden. Zum Scheitern verurteilt ist dieses Modell allerdings, wenn auch nur eine der tragenden Säulen wegbricht:
die Kompromissfähigkeit der Eliten
die Gefolgschaftstreue der Fußtruppen oder eben
der hohe Organisationsgrad der Interessengruppen, der sicherstellt, dass nicht nur eine Minderheit der Betroffenen bei den Verhandlungen mit am Tisch sitzt.
Das Problem ist nur: Mündige Bürger, die auch noch dazu nicht davon abzubringen sind, dass sie auf die Probleme, von denen sie selbst betroffen sind, eine andere Sicht als die Entscheidungsträger an der Spitze haben, sind hier nicht vorgesehen. Sie gefährden die Stabilität der Konstruktion, weil eine Pyramide, deren Sockel nicht trägt, sondern aufsteht, sorgt dafür, dass auch die Spitze stürzt.
Weil die Kammern es irgendwie geschafft haben, sich einen Anstrich direktdemokratischer Legitimation zu geben - wie angreifbar dieser letztlich ist, zeigt sich an der bei jeder Kammerwahl der letzten Jahre aufgeflammten Debatte über die demokratische Qualität dieser Abstimmungen -, ist die Fassade der österreichischen Sozialpartnerschaft noch intakt. Dahinter beginnt es zu bröckeln, und dann hilft auch die verfassungsrechtliche Verankerung der Kammern nicht mehr.
Wenn der Aufstand der Spitalsärzte Schule macht, müssen die Eliten umdenken und auf Konfliktmodus umschalten. Grund zur Freude ist das keiner, aber auch kein Weltuntergang. Die offene Austragung von Konflikten kann ein Fortschritt sein. Muss aber nicht. Alles Neue ist spannend.