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"Leben könnte unter anderen Umständen ganz anders aussehen."
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Wien. "Das Leben könnte unter anderen Umständen und andernorts im Universum ganz anders konfiguriert sein. Ich halte daher die Suche nach einem Leben auf dem Mars, das so aufgebaut ist wie jenes auf der Erde, für Unsinn", sagt Gerhard Wegner, Gründer des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz. Der renommierte deutsche Chemiker trug am Dienstag zum Auftakt des Symposions "Synthetische Biologie" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien vor.
Die Synthetische Biologie erforscht die Konstruktion von biologischen Systemen und künstlichen Lebensformen mit neuen Eigenschaften. Bio-Ingenieure wollen die Grundlagen des Lebens neu zusammensetzen. Lebensformen mit komplexer innerer Struktur und neuen Verhaltensmustern sollen entstehen, die sich selbst reproduzieren können. Anwendungen sind in der Erzeugung von erneuerbaren Energien, der Schaffung neuer Nahrungsmittel zur Welternährung oder der Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen denkbar. Noch befindet sich der als Zukunftsgebiet geltende Forschungsbereich allerdings auf der Ebene der Grundlagen.
"Minimalzellen"
Innerhalb einer Zelle, die sich als chemische Fabrik begreifen lässt, läuft eine große Anzahl an metabolischen Prozessen ab, an denen hunderte von Zwischenprodukten beteiligt sind. Chemische Prozesse und Transportmechanismen an räumlich verschiedenen, jedoch funktional verbundenen Stellen überlassen nichts dem Zufall. Im Bewusstsein, wie schwierig die Aufgabe ist, wollen die Adepten der Synthetischen Biologie daher eine "Minimalzelle" mit rund 400 Genen konstruieren als "kleinste lebensfähige Einheit", wie es die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einem Arbeitspapier beschreibt. Solche Minimalzellen sollen als Chassis (Gerüste) für neue biologische Systeme dienen.
Dabei werden zwei Ansätze verfolgt - "Top-Down" und "Bottom Up". Die Forscher können einerseits aus der natürlichen Zelle Bauelemente entfernen, so lange, bis jegliches weitere Ausschalten von Funktionen zum Tod der Zelle führen würde. Dieser letzte Zustand definiert die Minimalzelle. Sie "lebt" im Sinne der Fähigkeit zum Metabolismus und der Kraft sich fortzupflanzen in einer Hülle, die sie von der Außenwelt abgrenzt.
Auf der anderen Seite wird versucht, aus entweder synthetisch oder aus Zellen gewonnen Funktionselementen ein Konstrukt aufzubauen, das Phänomene des Lebens aufweist, sobald eine gewisse Komplexität erreicht ist, "der Motor also zu laufen beginnt", sagt Wegner zur "Wiener Zeitung": "Es ist ähnlich wie bei den Gebrüdern Wright: Sie starteten ihren ersten Flug in einem aerodynamischen Gerät mit einem Nähmaschinen-Motor. Allmählich kamen die Komponenten dazu, die moderne Passagierflugzeuge ausmachen."
Die Minimalzelle ist für die Synthetische Biologie also gewissermaßen das, was das Rollbrett für den motorisierten Verkehr ist: ohne Basis-Funktionen kein System. "Die Vorstellung, dass bald künstlich geschaffene Tierchen entstehen und herumkrabbeln, teile ich aber nicht. Das Leben ist zu komplex, als dass das so einfach ginge", sagt Wegner.
Ähnlich sieht es Kai Sundmacher vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme. Die Ingenieurswissenschaften würden "Traum-Prozesse" benötigen, um fertige Lebenssysteme schon bald hervorbringen zu können. Erste Erfolge würde die Neu-Zusammensetzung von Organismen zeitigen - etwa die Gewinnung von Bakterien und Algen, die Wasserstoff oder Methan abgeben. "Wir müssen aber noch zu mehrmals wiederholbaren Versuchsergebnissen kommen", sagt Sundmacher.
Der Gedanke, künstliches Leben zu erschaffen, ist nicht neu. 1870 entdeckte der Naturforscher und Arzt Luigi Galvani, dass Froschschenkel beim Kontakt mit Elektrizität Muskelkontraktionen tätigen. Daraus entwickelte sich der Galvanismus, dessen Verfechter glaubten, im Strom eine Lebenskraft gefunden zu haben, die Tote wieder zum Leben erweckt. Entsprechende Versuche an Leichen durchzuführen, lag nahe. Mit Mary Shelleys Roman "Frankenstein" fand die Faszination des Galvanismus 1818 ihren Höhepunkt. Obwohl Erfolge ausblieben, werden heute noch Patienten elektrischen Strömen ausgesetzt.
Für Wegner ist die nunmehrige Synthetische Biologie ein Produkt der Evolution der Naturwissenschaften aus Chemie, Biologie und Ingenieurswissenschaften. Und ähnlich wie diese neue Wissenschaft künftig neue Lebensformen hervorbringen könnte, könnte Leben jederzeit nach dem Urknall auf anderen Planeten anders entstanden sein als auf der Erde. "Hypothesen, die nach Leben im All suchen, wie wir es kennen, sind völlig ungerechtfertigt. Denn weder die Elemente noch Energie sind überall gleich verteilt", sagt der Chemiker: "Aus denselben Elementen kann unter anderen Bedingungen etwas anderes entstehen. Die chemische Industrie macht uns das täglich vor, indem sie aus bekannten Stoffen neue Dinge herstellt."
Der Pfad der Evolution
Laut Wegner würden sich neue Strukturen und Verbindungen ab einem gewissen Grad von Komplexität automatisch selbst reproduzieren: "Bei der Entstehung von Leben muss es Prozesse gegeben haben, die zu dieser Selbstreproduktion geführt haben und in weiterer Folge zur Biologie. Es sind diese Prozesse, die Leben hervorbrachten", sagt er.
Der Chemiker Stephen Mann von der Universität Bristol betont dazu: "Wenn man den Geheimnissen der Entstehung von Leben näher kommen will, wäre es sinnvoller, die Mittel für die US-Mars-Mission in die Forschung zur Synthetischen Biologie zu stecken."
Was aber die Ziele der Synthetischen Biologie betrifft, kennen wir den Pfad ihrer Evolution noch nicht. Die Ungewissheit über die Langzeitfolgen birgt Konfliktpotenzial.Kommentar Seite 26