Bei der Klärung ihres Vorsitzes ist die SPÖ einen Schritt weiter. An tiefen strukturellen Problemen ändert das nichts.
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Die Mitgliederbefragung hätte die Wogen glätten sollen. Nach Jahren des schwelenden Konflikts zwischen SPÖ-Bundesparteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sollte die Basis über die personelle Zukunft der Sozialdemokratie entscheiden und wieder Ruhe in die zerstrittene Partei bringen. Am Ende ging Doskozil als Sieger der Befragung hervor - allerdings nur mit einem hauchdünnen Vorsprung. Er bekam 33,68 Prozent der 106.952 Stimmen. Rendi-Wagner landete mit 31,35 Prozent hinter Andreas Babler (31,51 Prozent) nur am dritten Platz. Zwischen 24. April und 10. Mai waren die Genossen nicht nur aufgefordert, über den künftigen Parteivorsitz zu entscheiden, sondern sollten auch gleich über den nächsten Spitzenkandidaten beziehungsweise die nächste Spitzenkandidatin der SPÖ abstimmen. Ob dieses Ergebnis tatsächlich geeignet ist, um die Partei wieder zu einen, ist fraglich.
Mitgliederbefragung machte Probleme sichtbar
Nicht nur damit wird sich Doskozil herumschlagen müssen, sollte er am Parteitag Anfang Juni tatsächlich als Vorsitzender bestätigt werden. Denn die Befragung änderte nichts an tiefgehenden, strukturellen Problemen innerhalb der Partei, machte sie im Gegenteil nur noch sichtbarer. Die Diskussion um das Prozedere rund um die Mitgliederbefragung artete in einen Machtkampf zwischen der Parteizentrale und dem Doskozil-Lager aus, das Misstrauen saß tief, die alte, einst staatstragende Partei schien überfordert, zerstritten und orientierungslos. Ob die Entscheidung um Vorsitz und Spitzenkandidatur alleine die rote Misere beenden kann, scheint fraglich.
Die Rolle des Spitzenkandidaten für den Erfolg einer Partei sei eine große, lasse sich allerdings nicht in konkrete Zahlen gießen, sagt Meinungsforscher und Politikwissenschaftler Peter Hajek zur "Wiener Zeitung". "Ein überzeugender Spitzenkandidat kann auch viele Menschen an sich binden, die keine oder nur eine geringe Affinität zu seiner Partei haben", erklärt Hajek. Das sei unter anderem Bruno Kreisky und Sebastian Kurz gelungen.
Nicht jeder Kanzler galt als strahlende Persönlichkeit
Doch nicht hinter jedem Wahlerfolg stehe ein starker Spitzenkandidat als Zugpferd. Hajek nennt den früheren SPÖ-Kanzler Werner Faymann als Beispiel. Dieser galt als konturenlos und "war nicht so ein Strahlekanzler". Und trotzdem: Faymann blieb acht Jahre im Amt, länger konnten sich nur Bruno Kreisky und Franz Vranitzky halten. Und auch Wolfgang Schüssel habe zu Beginn nicht unbedingt als Sympathieträger gegolten, konnte sich das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler aber erarbeiten.
Aber hat die Rolle der Spitzenkandidaten seit Kanzlern wie Schüssel und Faymann zugenommen? Als Sebastian Kurz die ÖVP übernahm, ließ er sich mit weitreichenden Machtbefugnissen innerhalb der Partei ausstatten, im Wahlkampf setzte man stark auf den Personenkult rund um den jungen, türkisen Hoffnungsträger. "Es gab immer schon große Persönlichkeiten in der Politik", sagt Hajek. Die Rolle des Spitzenkandidaten sei also in den letzten Jahren nicht unbedingt gewachsen, "sondern die Ideologie als Überbau der Parteien wurde schwächer. Deshalb rutschen die Kandidaten stärker in den Vordergrund." Und auch Kurz sei nicht nur kraft seiner Person so erfolgreich gewesen. "Kurz hat nicht nur schön geredet, sondern die Partei auch neu - weiter rechts - positioniert", meint Hajek.
Auf Dauer reicht eine einzelne strahlende Persönlichkeit allerdings nicht aus, um eine strauchelnde Partei auf den Beinen zu halten. Auch das zeigt das Beispiel Kurz: Als Kurz im Jahr 2017 die Volkspartei übernommen hat, sei die Führung in der Parteizentrale "schlecht" und die Partei "zerrissen" gewesen, sagt Hajek. Kurz habe die ÖVP zwar vorübergehend geeint, aber nicht nachhaltig restrukturiert. Der Stern des jüngsten Bundeskanzlers der Zweiten Republik ist nach nur wenigen Jahren wieder untergegangen, die ÖVP steht heute vor ähnlichen Problemen wie vor der Übernahme durch Kurz, ringt um eine klare Positionierung und Einigkeit.
Parteizentrale nach Kündigungen ausgedünnt
"Man kann mit einem guten Spitzenkandidaten und einer schlechten Struktur eher gewinnen als mit einem schlechten Spitzenkandidaten und einer guten Struktur", glaubt auch Yussi Pick, Experte für Kampagnen mit eigener Agentur. Die Frage sei dann nur, wie langfristig so ein Erfolg sein kann. 2017 hatte die SPÖ, ähnlich wie die ÖVP mit Sebastian Kurz, einen Christian Kern. Ähnlich wie Kurz war auch Kern modern im Auftreten, mit dem Image eines Kandidaten, der frischen Wind mitbringt. Aber es haperte an der Struktur dahinter. 2017 hatte die Parteizentrale nicht einmal ein funktionierendes Intranet, um die eigenen Mitarbeiter leicht erreichen zu können. Heute scheint die Lage nicht wesentlich besser geworden zu sein. Die Parteizentrale in der Löwelstraße sei nach einer Kündigungswelle Ende 2019 ausgedünnt, abseits von Christian Deutsch und einem Kommunikationsteam bleibe viel Arbeit liegen, so Pick. "Das ist schon relevant für einen Wahlkampf." Die Arbeit könne während der Regierungsperiode zwar aus dem Parlamentsklub mitgemacht werden, doch in einem Wahlkampf geht das nicht. Das könnte als illegale Wahlkampfspende an die Partei gesehen werden, sagt Pick.
"Strukturell ist die Organisation immer noch sehr klassisch eingeteilt und nicht so dynamisch, wie man es für einen Wahlkampf bräuchte." Dazu kommt noch das Gebäude an sich, das kaum kurze Wege zulasse. Die interne Kommunikation wird dadurch nicht leichter. Hans Peter Doskozil schrieb sich den Erhalt der Löwelstraße als Parteizentrale trotzdem in sein Wahlprogramm.
Die SPÖ holt sich wohl auch deshalb vor Wahlkämpfen auch oft Hilfe von außen. Sie ist zwar nicht die einzige Partei, die das tut, stellt es aber öfter in den Vordergrund. "Niemand liebt es so sehr, über Kampagnen zu sprechen wie die SPÖ", sagt Pick.
Ein anderes Problem der Parteizentrale ist etwas, das eigentlich ein Vorteil sein sollte: die Parteigröße. Die SPÖ ist neben der Volkspartei die einzige Partei, die Strukturen in die meisten Gemeinden Österreichs hat. Sie ist in allen Bundesländern vertreten, wenn auch nur teils marginal, wie in Vorarlberg, und hat dadurch ein großes Mobilisierungspotenzial. "Die Löwelstraße ist hier in den Ortsgruppen nicht besonders verankert", meint Pick. Landesgeschäftsstellen und Bezirke haben durch das Machtvakuum einen größeren Einfluss erlangen können. Daraus resultierende Effekte, die mitunter zur jetzigen Situation der SPÖ geführt haben, können sich so auch beim nächsten Wahlkampf auswirken. "Da in der Löwelstraße niemand ein Weisungsrecht über den Landesgeschäftsführer hat, fehlt es auch an einer Durchschlagskraft der Kampagnen", so Pick.
Es fehlt an gegenseitigem Vertrauen
Und noch eine große Baustelle innerhalb der Sozialdemokratie wurde - spätestens im Vorfeld der Mitgliederbefragung - sichtbar: Es fehlt an Vertrauen. Vertrauen in den Spitzenkandidaten oder die Spitzenkandidatin und Vertrauen in die zugrunde liegenden Strukturen, mit denen man einen Wahlkampf bestreitet. Um dieses Vertrauen scheint es auch momentan nicht gut bestellt zu sein: Im Karl-Renner-Institut mussten Handys abgeben werden, damit keine Informationen vorzeitig den Weg nach draußen finden. Nicht einmal für Rauchpausen wurde der Besprechungssaal verlassen. Es gab stattdessen eine Raucherecke. Außerdem hat die neue Leiterin der SPÖ-Wahlkommission Michaela Grubesa den Kandidaten kurzfristig die Möglichkeit eingeräumt, Wahlzeugen für den gesamten Auszählungsprozess zu nominieren. Zumindest Doskozil hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.