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Was kommt - abseits der emotional diskutierten Wahlkampfthemen - auf die neue Regierung zu?
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Wien. Geht es nach den Wahlkampfthemen, so könnte man annehmen, dass es vor allem Migration, Zuwanderung, Sicherheit, zu einem geringeren Grad wirtschaftliche Themen wie Steuern und Abgaben sind, die für Österreich nach der Nationalratswahl die größten Herausforderungen darstellen. Zumindest im TV dominierten emotional besetzte Themen die Debatten.
Die "Wiener Zeitung" hat mit den wissenschaftlichen Leitern des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) und des Instituts für Höhere Studien (IHS), Christoph Badelt und Martin Kocher, über jene Themen gesprochen, die tatsächlich in der kommenden Legislaturperiode auf die Regierung zukommen - wie auch immer diese zusammengesetzt sein wird.
Steuern und Abgaben
Grundsätzlich, sagt Wifo-Chef Christoph Badelt, müsse man zuerst einmal die Schminke der "populistischen Übertreibungen" von jenen Themenbereichen abwischen, die im Wahlkampf vorkamen. Da bleibe zunächst einmal das große Thema Abgabenbelastung über, "aber in Richtung einer richtigen und umfassenden Abgabenreform". Dieser wollte sich bisher noch niemand ernsthaft annehmen, auch, wenn diese im Wahlkampf durchaus Thema gewesen sei. "Es wird um eine echte Entlastung des Faktors Arbeit gehen, nicht nur um eine Entlastung von zwei bis drei Milliarden Euro", sagt Badelt. Dass sich bei der Abgabenbelastung, gerade für kleinere und mittlere Einkommen, etwas zum Besseren verändern muss, betont auch IHS-Chef Kocher. Nicht nur bei der Lohnsteuer, auch bei den Sozialabgaben und vor allem bei den hohen Lohnnebenkosten, gebe es Handlungsbedarf, sagt der Ökonom: "Gerade im Bereich von 11.000 bis 31.000 Euro Jahreseinkommen ist der Sprung von keiner oder geringer Abgabenbelastung auf eine hohe Abgabenstufe ein großer." Vor allem bei der Konzernbesteuerung, darüber sind sich Wifo- und IHS-Chef einig, gelte es, auf europäischer Ebene Druck zu machen.
Arbeitsmarkt und Armut
Christoph Badelt sieht auf die kommende Regierung vor allem das Problem der zunehmenden Segmentierung der Gesellschaft zukommen. "Ich glaube nicht an die These, dass tatsächlich 95 Prozent der Bevölkerung am - tatsächlich vorhandenen - wirtschaftlichen Aufschwung profitieren." Vor allem am Arbeitsmarkt sei problematisch, dass die anziehende Konjunktur sich bei einer wachsenden Untergruppe eben nicht positiv auswirken würde, erklärt der Wifo-Chef. "Das ist vor allem die wachsende Zahl der Langzeitarbeitslosen. Hier muss es strukturelle Verbesserungsmaßnahmen geben." Auch wenn die Zahl der Arbeitslosen wieder im Sinken begriffen sei, gebe es nach wie vor Rekordarbeitslosigkeit. Daran, so Badelt, ändere leider auch die hohe Beschäftigung nichts. Damit einher gehe das Problem der wachsenden Armut und vor allem der wachsenden Armutsgefährdung, erklärt Badelt. Bei der Mindestsicherung - im Wahlkampf vor allem unter dem Gesichtspunkt der verhältnismäßig großen Gruppe der Flüchtlinge und Migranten als Bezugsberechtigte heftig diskutiert - gelte es, Minimalstandards festzulegen. Von Modellen, die einen Bezugsanspruch von der Staatsbürgerschaft abhängig machen, hält Badelt wenig: "Viel eher muss das von den Lebenserhaltungskosten abhängig gemacht werden."
Seitens des IHS weist Kocher auf die dringende Notwendigkeit hin, das - ansonsten sehr gut ausgebaute und funktionierende - Sozialsystem künftig effizienter zu gestalten. Aber: "Im Wahlkampf wurde die Kostendynamik im Sozialsystem stark übertrieben", sagt auch Kocher. Dass man über Kürzungen bei der Mindestsicherung, oder auch der Förderungen tatsächlich eine Steuer- und Abgabenreform gegenfinanzieren kann, hält Kocher für "unrealistisch". Einige sind sich beide Ökonomen vor allem in der dringenden Notwendigkeit einer umfassenden Strukturreform in der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. "Es muss darum gehen, die gemischten Kompetenzen, die zu viel Ineffizienz führen, endlich abzubauen", sagt Christoph Badelt. Es gehe um die Zusammenführung von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung, "aber auch um Einnahmenverantwortung", sagt der Wifo-Chef.
Bildung und Föderalismus
Die Probleme im föderalen System seien im Wahlkampf leider zu wenig bis gar nicht angesprochen worden, würden jedoch eine "große Herausforderung" darstellen, pflichtet Martin Kocher bei. Kocher sieht seinerseits die Probleme im Bildungsbereich als vorrangig an. "Hier gab es im Wahlkampf eine viel zu oberflächliche Diskussion", kritisiert er. Es gebe "viele Aufgaben und auch genug Ausgaben; allerdings ist die Mittelverwendung nicht effizient genug", fasst Kocher zusammen. Nach wie vor würden Bildungskarrieren nach der Pflichtschule entschieden, bemängelt der Ökonom. Wahlkampf-Forderungen wie "Tablets in der Schule" seien, gemessen am Stand der Diskussion und den strukturellen Problemen, "viel zu konkret", die permanente Vermengung mit dem Migrationsthema wenig produktiv. Aber: "Der Bereich Bildung hängt natürlich sowohl mit dem Thema Arbeitsmarkt als auch mit dem Thema Migration und Zuwanderung massiv zusammen." Auch hier seien laut Kocher vor allem endlich die Zuständigkeiten zu klären, sagt Kocher. Die neue Regierung würde nicht umhinkommen, den Schulen mehr Autonomie zuzugestehen, "was naturgemäß mit einer höheren Verantwortung, aber auch mit einem Mehr an Möglichkeiten einhergeht", sagt der IHS-Chef.
Eine gute Bildungspolitik, sagt Wifo-Chef Badelt, sei der Schlüssel in der Frage der Standortqualität. Elementarbildung sei genau so wichtig wie kräftige Investitionen bei der Grundlagenforschung und bei den Universitäten. Vor allem hinsichtlich des Strukturwandels - Stichwort Industrie 4.0 und Digitalisierung - sei Innovationsförderung ein Muss für die kommende Regierung.