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BASF ist zufrieden mit EU-Zulassung für Amflora-Genkartoffel. | Fraunhofer-Turbo-Kartoffel hat ohne Gentechnik ähnliche Eigenschaften. | Tübingen. Um den Anbau der BASF-Genkartoffel Amflora gab es seit 1996 Streit mit Umweltschützern und der EU in Brüssel. Nun bescheinigte die EU-Kommission der Amflora, dass sie gesundheitlich unbedenklich sei. Doch inzwischen haben Wissenschafter des Aachener Fraunhofer-Instituts ihre "Turbo-Kartoffel" mit den gleichen gewünschten Eigenschaften auf den Markt gebracht.
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Das Problem liegt in der Kartoffel selbst: Sie produziert in ihrem Inneren rund 80 Prozent Amylopektin-Stärke und 20 Prozent Amylose-Stärke. Das Amylopektin ist vielseitig einsetzbar, Amylose-Stärke hingegen nicht verwendbar, und sie muss industriell aufwändig vom Amylopektin abgetrennt werden. Bis vor wenigen Monaten gab es keine Kartoffelsorte auf dem deutschen Markt, die nur die Stärke Amylopektin und keine Amylose mehr produziert, doch seit die gentechnisch veränderte Amflora-Kartoffel der BASF, Ludwigshafen, zugelassen wurde, gibt es zwei Kartoffelsorten, die nur Amylopektin herstellen.
Über 14 Jahre, klagte BASF-Vorstandsmitglied Stefan Marcinowski, musste man auf die Zulassung aus Brüssel für die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora warten, die endlich am 2. März 2010 vom neuen EU-Gesundheits-Kommissar John Dalli erteilt wurde. Das Ludwigshafener Chemieunternehmen, das dann am 8. März vom US-Magazin "Fortune" als das "meistbewunderte Chemieunternehmen der Welt" eingestuft wurde, hatte zuletzt die EU-Kommission wegen Untätigkeit beim Luxemburger Gerichtshof verklagt. Seit 2008 vertagte der zuständige EU-Kommissar Dimas immer wieder die Entscheidung über die Genkartoffel. Die Bestätigung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa, dass Amflora sicher für Mensch, Tier und Umwelt ist, war nach Mitteilung der BASF inzwischen mehrfach erfolgt.
In der jahrelangen Pattsituation wurden Agrarwissenschafter des Fraunhofer-Instituts IME, Aachen, fündig. Da ihnen die EU-Zulassung der Gen-Kartoffel unwahrscheinlich erschien, entschieden sie sich für das nicht-gentechnische, der Natur nachempfundene "Tilling-Verfahren" (Targeting Induced Local Lesions In Genoms, was bedeutet: gezielt ausgelöste Störung der anatomischen Struktur in Genomen).
2748 Keimlinge getestet
Hierbei werden durch bestimmte chemische Stoffe eine Vielzahl von Genveränderungen (Mutanten) bei Kartoffel-Pflanzenkeimlingen erzeugt. Darunter sind solche, die das Gen für Amylose nicht mehr exprimieren und nur noch Amylopektin herstellen. Diese Exemplare wollten die Fraunhofer-Experten um Dirk Prüfer und Jost Muth selektieren. Nach Aussäen der exponierten Keimlinge wurden diese nach Erscheinen der ersten grünen Blätter sofort geerntet und auf das vorhandene Amylopektin-Gen untersucht. "Insgesamt 2748 Keimlinge mussten wir untersuchen, bis wir den richtigen fanden", berichtet Prüfer, "in dem das Amylose-Gen ausgeschaltet war."
Zwar gibt es bereits biotechnologische Verfahren, um gezielt bestimmte Gene in einer Pflanze "stillzulegen", doch wird dieses "Ausschalten" meist als gentechnische Veränderung ausgelegt, und die Fraunhofer-Forscher wollten bei der Zulassung kein Risiko eingehen. Beim Tilling-Verfahren, einer vom Menschen induzierten Mutation und Selektion, wird keine GVO-Zulassung erforderlich. Der "richtige" Keimling muss jedoch erst gekreuzt und vermehrt werden, was trotz zeitlich verkürzter Schritte beim Auskeimen mehrere Jahre dauert.
Im Herbst 2009 wurden von Bioplant GmbH, Lüneburg, und dem Stärke-Hersteller Emsland Group die ersten 100 Tonnen der neuen Kartoffelsorte, die nur noch Amylopektin enthält, geerntet und weiter verarbeitet. Ihre Stärke-Kartoffel bezeichnen die Fraunhofer-Wissenschafter als "Turbo-Kartoffel", weil deren Mutation und Selektion in einem vom Menschen und nicht von der Natur bestimmten Rekordtempo ablaufe.
Neue Dimension
Die "Turbo-Kartoffel" von Dirk Prüfer hat noch einen anderen Vorteil: Weil sie keinen gentechnisch veränderten Organismus (GVO) darstellt, kann sie sowohl zur Herstellung industriell genutzter Stärke wie auch als Nahrungszusatz für menschliche oder tierische Nahrung eingesetzt werden. Damit stößt sie in neue Dimensionen der Ökonomie vor. Zunächst kann ihre Amylopektin-Stärke ohne industrielles Abtrennungsverfahren der nicht benötigten Amylose gewonnen werden. Danach kann das Amylopektin als Nahrungsmittelzusatz zum Beispiel das Quellvermögen von Tütensuppen verbessern oder als Bindemittel Salatsoßen und Desserts verfeinern.
Weiter kann diese bestimmte Kartoffel-Stärke in großen Mengen von Industrieproduzenten zur Herstellung von Klebestoffen, Kleister oder glättenden Beschichtungen von Papier und Garnen verwendet werden. Sogar die Bauindustrie nutzt die Kartoffel-Stärke: Beton soll durch Amylopektin länger verarbeitet werden können. Schließlich können die Reste der Amylopektin-Kartoffel noch als Viehfutter genutzt werden.
Der BASF stehen für ihre genetisch veränderte Amflora-Kartoffel diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten derzeit nicht zu Gebot, obgleich die Efsa keine Einwände gegen sie als Nahrungsmittelzusatz erhoben hatte. Doch von vornherein verzichtete BASF auf dieses breite Anwendungsgebiet, man will die Amflora vor allem industriell zur Herstellung von Klebestoffen und für technische Belange heranziehen. Hier spart der Einsatz von Amylopektin Wasser, Zusatzstoffe und Energie.
Nach Mitteilung der BASF wurde Amflora gemeinsam mit Experten der europäischen Stärkeindustrie entwickelt, um den Eigenbedarf zu decken. Immerhin kann sie in den EU-Staaten nun angebaut werden, als Futtermittel verwendet und bis zu 0,9 Prozent in Lebensmitteln vorkommen. Und die EFSA hielt in ihrer Stellungnahme von 2009 fest, dass die für den Gentransfer genutzten Markergene für Antibiotika-Resistenz gesundheitlich unbedenklich seien.
Interesse bis Senegal
In Deutschland wird die Genkartoffel Amflora bereits seit 2008 in Mecklenburg-Vorpommern auf einem 20 Hektar großen Versuchsgut ohne weitere Probleme angebaut. Sie soll nun ebenso wie die Turbo-Kartoffel der Fraunhofer-Wissenschafter im Großmaßstab in Deutschland, Polen und Tschechien ausgesät werden.
Zu einer unmittelbaren Konkurrenzsituation der beiden Stärke-Kartoffeln auf dem Markt wird es zumindest vorläufig nicht kommen, ist sich Fraunhofer-Gruppenleiter Prüfer sicher. Die Amylopektin-Kartoffel war das erste Tilling-Projekt in Deutschland. In Holland gibt es bereits seit einigen Jahren nur Amylopektin produzierende Kartoffeln. Und die Regierung im westafrikanischen Senegal möchte auf ihren relativ trockenen Böden gerne mehr Kartoffeln anstatt Reis anbauen, weil die Kartoffel doch besser sättigt.