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Die Berliner Mauer begann im Burgenland zu bröckeln

Von Hilde Szabo

Politik

Eisenstadt · Jubel, Tränen und fassungsloses Erstaunen: Am 19. August 1989 drücken hunderte DDR-Bürger ein altes Holztor in einem Waldstück bei St. Margarethen im Burgenland auf, um in den Westen | zu gelangen. Das verwitterte Tor an der alten Ödenburger Straße war für wenige Stunden geöffnet worden, um Burgenländern die Teilnahme an einem Paneuropa-Picknick in der Soproner Puszta, unweit der | westungarischen Stadt Sopron (Ödenburg), zu ermöglichen. Bis zu 600 DDR-Bürger nutzten die provisorische Grenzöffnung für die erste Massenflucht von Ostdeutschen seit dem Bau der Berliner Mauer.


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"Auf diesem Waldweg wurde Geschichte geschrieben", erklärte ein sichtlich bewegter Bundeskanzler Helmut Kohl im Sommer 1996 bei einem Besuch an dem historischen Ort.

Ziel des Picknicks, zu dem die Paneuropa-Bewegung und das Ungarische Demokratische Forum geladen hatten, war der weitere Abbau des "Eisernen Vorhangs". Am 2. ai 1989 hatte die ungarische Grenzwache

begonnen, den Stacheldrahtverhau und die Grenzsperren niederzureißen. Die TV-Berichte über dieses Ereignis gingen um die Welt. "Wir haben die Bilder im Westfernsehen gesehen und dabei erstmals an

Flucht gedacht", bekannten viele DDR-Bürger, die im Laufe des Sommer 1989 über Ungarn und das Burgenland in den Westen kamen.

Im Juni und Juli 1989 strömten Zehntausende DDR-Bürger nach Ungarn, viele mit der festen Absicht, jede Fluchtmöglichkeit zu nützen. Es gelang aber nur einzelnen oder kleineren Gruppen von

Ostdeutschen, illegal über die Grenze zu gehen. Viele wurden erwischt und zurückgeschickt. Die Lage der fluchtwilligen DDR-Bürger in Ungarn wurde im Laufe des Sommers immer verzweifelter.

Die Paneuropa-Bewegung ließ · vorwiegend in Budapest · tausende Flugzettel verteilen, mit denen für den 19. August 1989 zu einem Picknick nahe der Grenze bei Sopron eingeladen wurde. "Baue ab

und nimm' mit" lautete einer der Programmpunkte der Veranstaltung, womit jeder Teilnehmer aufgefordert wurde, sich ein Stück des Eisernen Vorhanges abzuzwicken und als Erinnerungsstück aufzuheben.

Viele der DDR-Bürger verstanden die Botschaft und kamen angereist.

Während die burgenländischen Teilnehmer noch jenseits des geschlossenen Holztores darauf warteten, eingelassen zu werden, durchbrachen zahlreiche DDR-Bürger im Laufschritt das Tor: Männer,

Frauen, Kinder. So mancher hatte bei dem Lauf querfeldein seine Schuhe eingebüßt, kaum einer hatte Gepäck bei sich. Auf den ersten Metern österreichischen Bodens kam es zu unbeschreiblichen Szenen.

Der Jubel war grenzenlos.

In den folgenden Stunden gelangten noch hunderte Fluchtwillige · unter den Augen ungarischer Grenzsoldaten · über den provisorischen Grenzübergang nach Österreich. Erst am späten Nachmittag wurde

wieder streng kontrolliert. In St. Margarethen warteten zu diesem Zeitpunkt bereits die überglücklichen Flüchtlinge auf ihren Weitertransport nach Westdeutschland.

Nach diesem historischen Ereignis ließ Ungarn ab 11. September die DDR-Bürger legal ausreisen. Im November 1989 fiel die Berliner Mauer. Ihr Ende war an der österreichisch-ungarischen Grenze im

Burgenland eingeläutet worden.