Zum Hauptinhalt springen

"Die beste Prothese der Welt"

Von Richard E. Schneider

Wissen

Die Wissenschaft macht das Leben für den Menschen einfacher und besser. Zumal wenn sie selbst Perfektionsgrad erreicht. Neuestes Beispiel für die Erhärtung dieser These ist die kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellte "revolutionäre Handprothese" vom Wissenschafterteam um Prof. Georg Bretthauer und Stefan Schulz vom Forschungszentrum Karlsruhe (FZK). Anstatt einer kiloschweren, einfunktionalen Holzhand entwickelten die Wissenschafter in Karlsruhe eine vielfach und vielerarts bewegliche Kunsthand nebst Innenleben, das aus zahllosen Drähten, Kunststoff- und Metallteilchen besteht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ihre exzellente Flexibilität und Funktionsvielfalt verdankt die neue Handprothese "den Mikro-Fluidaktoren, die aus kleinen Kammern bestehen, die ihr Volumen ändern, wenn Flüssigkeit oder Gas hinein- bzw. herausgepumpt wird", erläutert Stefan Schulz vom FZK. In der Automatisierungstechnik sind solche Fluidaktoren als Antriebselemente längst bekannt, allerdings bedeutend grösser. Für die Kunsthand wurden sie soweit miniaturisiert, dass sie praktisch in jeden Finger eingebaut werden konnten. Ausserdem sind miniaturisierte Ventile, Sensoren und eine Druckerzeugungseinheit in dieser Kunsthand integriert.

Multifunktionelle Griffe

Nach mehrjähriger Forschungs- und Tüftelarbeit entstanden ist, so Prof. Georg Bretthauer vom Institut für Angewandte Informatik, "die beste Handprothese der Welt". Nach ihren Erfindern vom FZK, die mehrere Patente auf dieses Zusammenspiel raffiniertester modernster Techniken angemeldet bzw. bereits erhalten haben, ist es "die bisher einzige Kunsthand, die fünf verschiedene Griffe beherrscht". Sie kann erstmals eine Getränkeflasche ergreifen, festhalten und hochheben und Flüssigkeit in ein Glas giessen.

Die Handprothese kann aber auch mit einer anderen Griffart speziell von Daumen und Zeigefinger z.B. eine kleine, extrem flache Scheckkarte von der ebenso flachen Tischplatte aufheben und in die Jackentasche oder ins Portemonnaie stecken. Schliesslich kann sie selbstverständlich auch Gegenstände sicher tragen bzw. halten (z.B. Einkaufs- oder Aktentaschen etc.). Eine weitere interessante Funktion: Durch das alleinige Ausstrecken des Zeigefingers der Kunsthand lassen sich zwar langsam, aber doch wirklich Briefe auf Computern schreiben oder es geht einfach per Mausklick ins Internet.

Zylindergriff (Flaschen, Aktenordner etc.), Pinzettengriff (kleine Gegenstände), Lateral- (flache Gegenstände) und Hakengriff (Tragefunktion) heissen die vier wesentlichen Griffarten, zu der noch der ausgestreckte Zeigefinger kommt.

Täuschend echt der Natur nachgebildet

Der klar verbesserten Arbeitsfähigkeit dieser neuen Prothese entspricht ein realitätsnahes Aussehen: Die neue Kunsthand ist mit 860 g trotz modernster Technologie deutlich leichter als ihre Vorgängerinnen. Mit dem übergestreiften Handschuh bzw. Kunsthaut (incl. Fingernägel-Modellierung) ist sie auch bei näherem Hinsehen auf Anhieb nicht von einer natürlichen Hand zu unterscheiden. Dank der neuen Materialien fühlt sich die Kunsthand natürlich und flexibel an.

"Eine kleinere, aber nicht unwesentliche weitere Verbesserung der Akzeptanz stellt die farblich exakte Anpassung der Kunsthaut an den Hauttyp und die Handgrösse des ersten Patienten dar", erläutert Bretthauer weiter. "Unser Testpatient, Herr Rebholz, ist mit dem Resultat unserer bisherigen Bemühungen übrigens schon sehr zufrieden. Doch wir arbeiten weiter an der Verbesserung des Feedbacks der Arbeitsleistungen der Handprothese."

Integrierter Schaltkreis

Der Informatiker denkt dabei an noch mehr Elektroden in der Kunsthand, um noch mehr elektrische Signale aus den Nerven- und Muskelenden im Armstumpf empfangen zu können. Auch soll ein intelligenter IC (Integrierter Schaltkreis) die Funktionsabläufe der Handprothese weiter verbessern. Rund um die 10.000 Euro wird nach Bretthauers Schätzungen die Anfertigung einer solchen Kunsthand kosten, je nach Automatisierungsgrad des Produktionsablaufs. Bis zur Serienreife werden noch ca. 12 bis 24 Monate vergehen.