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Die Generation Facebook verweigert sich. Sie will nicht mehr alles mit allen teilen. Google reagiert mit einem sozialen Netzwerk, das eine Unterteilung der Kontakte in Circles (Kreise) ermöglicht.
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Mit dem neuen Google-Netzwerk Google+ ist ein Problem programmiert: Wer gehört in welche Kategorie? Eine neue Deutung des Freundschaftsbegriffes ist nötig, damit die Circles überhaupt funktionieren. Das Internet entdeckt die Menschlichkeit - die besten Freunde gibt’s nur offline.
Wer will schon, dass zu einer Geburtstagsfeier 1500 "beste Freunde" erscheinen, nur weil die Einladung versehentlich veröffentlicht wurde? Auch kann niemand ein Interesse haben, online sein Innerstes nach außen zu kehren, wenn der Arbeitgeber mitliest. Das Internet wird schnell zum Info-Dorf.
Der Begriff Freundschaft lässt sich nicht eindeutig definieren. Was im Netz praktikabel ist, funktioniert im realen Leben nicht. Dazu ist das menschliche Beziehungsgeflecht innerhalb einer Freundschaft viel zu explosiv. Es funktioniert nach Regeln zwischenmenschlicher Kommunikation. In welchen Circle gehören also Arbeitskollegen? Sie dürfen einiges, aber eben nicht alles wissen. Online bleibt alles eine Sache subjektiver Bewertung, um totale Offenheit zu umgehen. Die dunklen Ecken ihrer Seelenkatakomben wollen die Allerwenigsten öffentlich machen.
Hinter der Online-Freunde-Definition steckt eine Bedeutungsverdrehung. Das Wort "Freund" wurde vom Qualitäts- auf den Quantitätssockel gehoben. Das positiv besetzte Wort wird missbraucht, indem man ihm seine Identität stiehlt. Viel ist gut, weil es die Bedeutung erhöht. Und das kann kraft des Faktischen nur positiv sein. Wer 1000 Online-Freunde hat, steht schon rein mengenmäßig besser dar. Wer nur einen Freund an seiner Seite weiß, muss einfach unbeliebt sein, so die versteckte Botschaft dahinter.
Das technisch Machbare bestimmt die Geschwindigkeit des Handelns. Der Kontakt von Ereignis und Botschaft droht zulasten des Machbaren verloren zu gehen. Wie bei der von sozialen Netzwerken befeuerten Dynamik der Freiheitsbestrebungen in Arabien: Der Druck ließ nach, ein Vakuum entstand. Die Massen wurden fälschlich als Argument wahrgenommen. Ein gefährlicher Trugschluss. Die Geschichtsbücher sind voll von Revolutionen, die sich ihren Weg in die Freiheit bahnten, allerdings zuerst in den Köpfen. Das ist der Unterschied: Druck und Inhalt standen auf den Barrikaden von einst. Die Entwicklung vollzog sich übergangslos. Online-Plattformen erzeugen Übergänge, da die Online-Geschwindigkeit die Ereignisse gefährlich weit hinter sich lässt.
Was bitte, um den Kreis zu schließen, sagt uns, dass - ebenfalls von Medien verbreitet - der kanadische Teenie-Star Justin Bieber beim Kurznachrichtendienst Twitter elf Millionen Follower und damit nach Lady Gaga als Zweiter diese Hürde übersprungen hat? Hat er elf Millionen beste Freunde? Mitnichten. Elf Millionen twittern ihrem Star hinterher. Sonst nichts. Und Bieber setzt der Bedeutungsverdrehung die Krone auf, wenn er verkünden lässt: "Ich liebe euch alle!" Das haben schon andere vor ihm gesagt, macht es aber nicht besser. Deutlich macht es nur eins: Die Vorteile der sozialen Netzwerke kann nur nutzen, wer ihre Schwächen kennt.
Alexander von der Decken ist Redakteur in Bremen.