Das Salzburger Bettelverbot und die Verwandlung der Stadt.
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Am 2. Juni tritt das sektorale Bettelverbot der Stadt Salzburg in Kraft: Zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten ist Betteln nicht mehr erlaubt. Dieses Bettelverbot ist Symptom für die Umwandlung der Städte.
Heute muss eine Stadt brummen. Sie muss pulsierendes Leben auf den Straßen bieten. Das entspricht unserem Bild von Urbanität. Diese Vorstellung von Urbanität hat vor allem historische Städte sehr verändert: Aus einem Lebensraum sind die historischen Zentren zu einer Konsumzone geworden. Einer brummenden. War Handel früher eine Stadtfunktion unter anderen, so ist sie heute zur wichtigsten aufgestiegen. Die Stadtzentren haben nichts mehr mit der sozialen und gesellschaftlichen Realität der Städte zu tun. Hier wird geborgtes Leben inszeniert, so der Architekturtheoretiker Vittorio Lampugnani. Oder eher gefaktes Leben. Denn die historischen Zentren dienen als Objekt und zugleich als Kulisse für den Konsum. Konsumiert werden Geschichte, Hedonismus ebenso wie materielle Dinge. Die Stadt ist also zu einem Einkaufszentrum geworden: Hier werden Erlebnisse, Vergnügen und Waren verkauft. Das Pulsieren ist ein Pulsieren im Zeichen des Konsums.
Bedeutete Öffentlichkeit früher die Möglichkeit einer Erfahrung von Anderen; bot der öffentliche Raum die Möglichkeit einer Begegnung mit Fremden - wie Richard Sennett schrieb -, so macht Urbanität heute diesen Fremden, dem man begegnen könnte, zu einem sehr spezifischen.
Unterschiedliche Farben, "Rassen", religiöse Symbole, Moden - alles lässt sich in die brummende Masse integrieren. All diese Zeichen können zur Dekoration für das pulsierende Leben werden. So lange, wie sich Buntheit und Unterschiede in einem verbinden - im Konsum. Das Brummen ist das Brummen einer Vielfalt, die sich in einer Konsumentenmasse vereint. Das Bild des pulsierenden Lebens, der heutige Mythos von Urbanität, ist eigentlich ein "Trugbild von Urbanität" (Lampugnani). Denn hier pulsiert ein Leben, dessen Differenzen nur bis zu einer bestimmten Grenze reichen: Hier pulsieren nur Konsumenten. Darin sind sich alle gleich. Alle außer den Bettlern. Sie sind das extreme Gegenbild zu dieser bunten, vielfältigen Masse. Die Bettler stören. Warum?
Weil die "ungehinderte Nutzung des öffentlichen Raums nicht mehr möglich ist", wie das Argument des Salzburger Gemeinderats lautet? Das Bettelverbot bezieht sich aber nicht nur auf aggressives, es umfasst auch das stille Betteln am Straßenrand. Dieses stört das Funktionieren der Stadt nicht im pragmatischen Sinne. Es sind die Bilder der Armut, die stören. Sie stören die schöne Masse der Konsumenten. Denn die Bettler sind die, die nicht kaufen. Sie sind die, die nicht konsumieren. Sie sind der Unterschied, der nicht integriert werden kann.
Dagegen wird jetzt nicht sozialpolitisch vorgegangen, sondern ordnungspolitisch. Das Bettelverbot soll die Bedrohung der Konsumkulisse abwehren. Mit den Bettlern sollen die Bilder der Armut - sektoral - verdrängt werden. Aber wie wir aus der Psychoanalyse wissen, folgt auf die Verdrängung immer die Wiederkehr des Verdrängten.
Vielleicht sollte man den Salzburger Gemeinderat einfach daran erinnern, dass auch Bettler sehr wohl Teil am Tausch haben: Für ein Almosen verkaufen sie gutes Gewissen.