Die Katholische Sozialakademie ist ein wirtschaftlicher Innovator - doch soll die Soziallehre nun aufs Abstellgleis geschoben werden?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"It’s the economy, stupid" - das war ein Slogan, der dazu beitrug, dass Bill Clinton 1992 den Präsidentschaftswahlkampf in den USA gewann. Der Slogan verweist auf die anhaltende Bedeutung der Wirtschaft für eine Reihe politischer Problemstellungen. Eine Bedeutung, die immer wieder vergessen oder sogar negiert wird. So spielt die Wirtschaft zum Beispiel eine Schlüsselrolle im Klimawandel. Sie ist auch wesentlich für die zunehmende Kluft zwischen Einkommen und Vermögen, zwischen denen, die einen Arbeitsplatz haben, und den Erwerbsarbeitslosen. Schließlich ist die Wirtschaft selbst ein bedeutender politischer Faktor. Allein die Liste der in Brüssel notierten Lobby-Organisationen und deren aus der Wirtschaft kommenden Aufträge sprechen dazu Bände.
Aber die Wirtschaft ist nicht nur Teil des Problems. Im selben Maße wie die Wirtschaft an den Ursachen des Klimawandels, von wachsender sozialer Ungleichheit und der Unterminierung demokratischer, transparenter Entscheidungsprozesse teilhat, verfügt sie auch über die Mittel, den Klimawandel zu bekämpfen, die Ungleichheit zurückzuschrauben und die Demokratie abzusichern oder auszubauen. Die Wirtschaft ist ein Teil der Lösung. Und ein sehr entscheidender noch dazu.
Das war der Katholischen Soziallehre schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bewusst, als Papst Leo XIII. sie als Erster formulierte: im Angesicht der Übel der kapitalistischen Industrialisierung. Die umfassende Rolle der Wirtschaft für das gesellschaftliche Leben im Ganzen wurde dann im Verlauf der Krisen der Zwischenkriegszeit noch deutlicher, die im Zweiten Weltkrieg kulminierten. Dabei hatte die undemokratische Verfasstheit der wirtschaftlichen Unternehmen einen großen Anteil. Sie bereitete den Boden für Faschismus und Nationalsozialismus, die auf den autoritären Haltungen aufbauen konnten, die in den Kommandostrukturen der Wirtschaftsbetriebe herangezogen wurden.
Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre
Die Katholische Kirche entschied sich nach dem Zweiten Weltkrieg dazu, die demokratische Alternative zu Herrschaft und Unterdrückung zu wählen. Sie wurde zu einer wichtigen Fürsprecherin einer weitgehenden gesellschaftlichen Demokratisierung. Auch und gerade im Bereich der Wirtschaft. Papst Johannes XXIII. spielte eine wesentliche Rolle dabei. So hielt er in der Enzyklika "Mater et Magistra" schon 1961 gegen eine Verkürzung sozialer Gerechtigkeit auf bloße Verteilungsgerechtigkeit bei den Produkten der Arbeit und den Einkommen fest: "Nicht nur die Verteilung des Wirtschaftsertrages muss den Forderungen der Gerechtigkeit entsprechen, sondern der gesamte Wirtschaftsvollzug. In der menschlichen Natur selbst ist das Bedürfnis angelegt, dass, wer produktive Arbeit tut, auch in der Lage sei, den Gang der Dinge mitzubestimmen und durch seine Arbeit zur Entfaltung der Persönlichkeit zu gelangen."
Es geht also um gleichberechtigte Mitbestimmung aller in der Arbeit. Diese Kernaussage der Katholischen Soziallehre haben die Päpste in den Jahren seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Mitte der 1960er immer wieder bekräftigt, von Paul VI. über Johannes Paul II. bis zu Benedikt XVI. und Franziskus. Dabei war Benedikt XVI. der Erste, der explizit von Wirtschaftsdemokratie sprach, die es der Lehre der Katholischen Kirche zufolge zu verwirklichen gelte. Doch war dieses Ziel schon in mehreren anderen Enzykliken unmissverständlich klar formuliert. Eine der schönsten Darstellungen findet sich bei Johannes Paul II. in "Laborem exercens" (1981), wo es heißt: "Richtig (...) kann eine Arbeitsordnung nur dann sein, wenn sie schon in ihren Grundlagen den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital überwindet und versucht, sich nach dem (...) Prinzip des wesenhaften und effektiven Vorranges der Arbeit aufzubauen, nach dem Prinzip des Menschen als des Subjektes der Arbeit und seiner wirksamen Teilnahme am ganzen Produktionsprozess, unabhängig von der Art der Leistungen, die der Arbeitende erbringt."
Diese Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre hat die Katholische Sozialakademie Österreichs seit mehr als 60 Jahren in vielerlei Form mitgeprägt, weiterentwickelt und an Generationen von Menschen weitergegeben. Schon seit vielen Jahren bemüht sich die Katholische Sozialakademie darum, zu wirtschaftlichen Innovationen im Sinn der Soziallehre anzuregen. Darunter sind nun nicht technische Verbesserungen zu verstehen, neue Produkte oder gesetzliche Regelungen. Vielmehr geht es um den sozialen Gehalt der Wirtschaft, also darum sie persönlichkeitsförderlich und demokratisch zu gestalten. So hat die Katholische Sozialakademie in den vergangenen Jahren einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung zu solidarischen Ökonomien gelegt, die von Genossenschaften bis hin zu alternativen Lebensmittelnetzwerken wie Food Coops reichen und demokratische Auswege aus Krisen zeigen.
Relaunch-Beschlussals Bärendienst
Eine Demokratisierung der Wirtschaft ist angesichts zunehmender und komplexer sozial-ökologischer Probleme heute auch eine Mindestanforderung an Zugänge zu deren Lösung, die ernstgenommen werden wollen. "It’s the economy, stupid", wollte man da der Österreichischen Bischofskonferenz zurufen, die jüngst mit einer Verlautbarung aufhorchen ließ, die Katholische Sozialakademie als "gut eingeführte Marke" in einer "einjährigen Sanierungsphase" einem "inhaltlichen und strukturellen Relaunch" zu unterziehen. Die Mitarbeitenden müssen gehen. Diese Begriffe und Vorgehensweise befremden und lassen aufhorchen, weil man sie aus den Praktiken von Unternehmensberatungskonzernen kennt, die nicht gerade im Sinne der katholischen Soziallehre agieren.
Die Bischöfe wünschen sich, so sagen sie, einen "starken akademischen Ansatz in der Erforschung der Katholischen Soziallehre". Dies alles lässt freilich sehr befürchten: Die Soziallehre soll aufs Abstellgleis geschoben werden. Denn sie lebt gemäß ihrem Gründungsauftrag an die Katholische Sozialakademie ("Erforschung und Verbreitung der katholischen Soziallehre sowie die Förderung ihrer Anwendung") nur im praktischen Engagement für (menschen-)gerechte Arbeit und wirtschaftliche Demokratie, nicht als totes Forschungsobjekt, das am Gelehrtentisch scholastisch seziert wird.
Mit ihrem Relaunch-Beschluss leistet die Bischofskonferenz nicht nur der Kirche und ihrer Soziallehre, sondern auch der Gesellschaft einen Bärendienst. Es ist nämlich im Sinn des Allgemeinwohls, Auswege aus den dramatischen sozial-ökologischen Krisen zu finden, und zwar so rasch wie möglich. Dafür sind Einrichtungen wie die Katholische Sozialakademie unerlässlich. Sie treiben auf der Basis eines zwar konfessionell begründeten, aber darüber hinaus global verallgemeinerbaren Humanismus wirtschaftliche Innovationen im Sinn solidarischer Ökonomien praktisch wie theoretisch voran.
Dass die Bischöfe angesichts dieser ausgesprochen wichtigen Funktion finanzielle Schwierigkeiten als eigentlichen Grund für ihre Aktion angeben, klingt für viele unplausibel. Die Katholische Sozialakademie braucht eine gesicherte wirtschaftliche Existenz, aber auch weit mehr finanzielle Mittel, um eine zentrale Aufgabe nicht nur der Kirche, sondern für die Gesellschaft insgesamt wahrnehmen zu können: die wirtschaftlichen Verhältnisse für alle Beteiligten menschengerechter zu gestalten und zu demokratisieren und damit - christlich gesprochen - eine Umkehr hin zu einer Wirtschaft zu bewirken, die dem guten Leben aller dient.