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"Die bisherigen Wachstumsideen sind Symbolpolitik, aber nicht mehr"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Die Währungsunion muss sich entscheiden, sagt Horn.
© © Stanislav Jenis

"Politiker werden vor Frage gestellt: Wollen wir Eurozone retten, ja oder nein?"


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"Wiener Zeitung":Kann die Debatte über Griechenlands Euro-Austritt noch eingefangen werden?Gustav Horn: Die Gefahr ist in der Tat groß, dass Panikszenarien und abstruse Vorschläge eine Eigendynamik gewinnen, sodass man in den Geberländern und in Griechenland gar keine andere Option sieht. Nüchtern betrachtet gibt es Auswege, aber keine Sofortlösung. Wir brauchen Geduld, die Probleme Griechenlands lassen sich nicht über Nacht lösen. Auf gar keinen Fall dürfen wir aber zulassen, dass diese Probleme die Währungsunion sprengen.

Manche Experten glauben immerhin, die Eurozone könnte sich so des Problems entledigen, und die Griechen würden mit der neuen, alten Währung wettbewerbsfähig.

Das ist eine ganz gefährliche Illusion, dass die Probleme nur mit Griechenland, Spanien oder Portugal zusammenhängen. Wir haben in der Währungsunion nicht auf Leistungsbilanzprobleme und Ungleichgewichte geachtet, die von zwei Seiten entstanden sind: Länder wie Griechenland haben Wettbewerbsfähigkeit verloren, andere - nämlich Deutschland, Österreich, Niederlande und Finnland - haben die Stabilität mit einer Strategie permanenter Auslandsüberschüsse vernachlässigt. Wir haben also eine systemische Krise aller Euroländer. Der Ansatz, Griechenland zu verbannen, wäre ganz falsch. Dann kämen rasch die nächsten Länder dran.

Deutschland empfindet sich aber dank seiner Exportstärke als Musterschüler. Ist das so falsch?

Man redet sich ein, Exportüberschüsse wären ein Wohlstandsgewinn. Diese Illusion von Reichtum ist aber zerplatzt: Die Überschüsse kommen nur zustande, weil die anderen Schulden anhäufen. Werden diese aber nicht mehr akzeptiert, sind die Überschüsse nichts mehr wert.

Heißt das, die "reichen" Länder müssen Überschüsse letztlich mit Transferzahlungen ausgleichen?

Das wäre die automatische Möglichkeit, wie das innerhalb der Einzelstaaten geschieht - in Österreich gibt es ebenso wie in Deutschland Transfermechanismen. Auf europäischer Ebene gibt es sie nicht, weil die Staaten souverän sind. Einzelne Länder stoßen so an Verschuldungsgrenzen - ob das private oder öffentliche Schulden sind, ist dabei egal.

Alle warten gebannt, ob die Wahlen am 17. Juni das gewünschte Resultat bringen und den Sparkurs stützen. Was, wenn nicht?

Die bisherige Austeritätspolitik in den Schuldnerländern ist ökonomisch wie politisch in den Bankrott gelaufen: Diese Länder sind in eine tiefe Rezession geraten, und die Parteien, die diese Politik mit vereinbart haben, werden schlicht abgewählt. Schon deshalb ist die Strategie absolut erfolglos und muss geändert werden.

Am 17. Juni wird man feststellen, dass es womöglich neue Regierungsmehrheiten gibt, ein Euro-Rausschmiss aber verheerende Folgen hätte. Also wird man sich an den Verhandlungstisch setzen und neue Strategien finden müssen. Das ist unausweichlich.

Ist denn der Gedanke, dass Strukturreformen - also das Forcieren von Wettbewerb, offenere Produktmärkte, deregulierte Gewerbe und Arbeitsmarktreformen wie ein gelockerter Kündigungsschutz - Wachstum schaffen, wirklich so falsch? Oder waren die Fristen zu kurz?

Letzteres spielt sicher eine Rolle. Im Griechenland-Paket dominierte aber klar der Sparaspekt. Man hat in Kauf genommen, dass die Nachfrage zusammenbricht. Antworte ich auf diesen Befund mit Strukturreformen und liberalisiere den Arbeitsmarkt, sodass die Firmen die Leute noch schneller rausschmeißen können, dann vernichte ich noch mehr Einkommen und Nachfrage und vertiefe die Krise. In dieser Situation wäre die Stabilisierung der Nachfrage nötig. Dazu hätte ich etwas tun müssen, um die Leute in Beschäftigung zu halten - vielleicht sogar, indem ich Kurzarbeit subventioniere. Wenn dann die Wirtschaft in Gang kommt, können die nötigen Strukturmaßnahmen durchgeführt werden. Griechenland muss schon seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen - aber erst danach, nicht gleichzeitig.

Wäre das noch eine Lösung, Geld in den Arbeitsmarkt umzulenken?

Es wäre sehr spät, aber immer noch sinnvoll - und zugleich ein Zeichen für die Griechen, dass es nicht nur schmerzt, sondern Europa auch hilft. Das ist ja gerade die politische Perversion: Die Geberländer glauben, sie helfen. Die Nehmerländer glauben, sie werden erpresst. Das Schlimme ist: Beide Seiten haben recht. Die Geberländer ermöglichen zinsverbilligte Kredite und schützen die Griechen vor dem Kapitalmarkt, wo sie nicht einen Tag überleben könnten. Andererseits sind die Auflagen nichts als eine Erdrosselung.

Der Internationale Währungsfonds und die EU werden einer künftigen Regierung etwas anbieten müssen, dürfen sich aber nicht erpressen lassen. Was wäre realistisch: Eine Fristerstreckung der Sparziele, die Umlenkung der Hilfskredite?

Ja, das wird man tun müssen. Man muss aber auch den institutionellen Umbau der Währungsunion in Angriff nehmen, der nicht von heute auf morgen geht. Und man muss der Europäischen Zentralbank (EZB) politisch den Rücken stärken, damit sie auf dem Sekundärmarkt mehr Staatsanleihen aufkaufen darf. Wenn die EZB das öffentlich ankündigt, dann habe ich die Panikwellen schon einmal unter Kontrolle.

Längerfristig gibt es zwei Optionen: Entweder wir haben mehr Wirtschaftskoordination - also etwa zentrale Steuereinnahmen, eine Budgetkontrolle durch das Europa-Parlament und echte europäische Fiskalpolitik. Oder wir halten an souveränen Nationalstaaten fest, dann brauchen wir eine Art Europäischen Währungsfonds, der die Leistungsbilanzen überwacht und notfalls präventiv agiert. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) könnte dafür die Keimzelle sein, geht aber nicht weit genug.

Halten Sie die politischen Hürden für überwindbar?

Wir haben ein Patt, wo signifikante Lösungen schwer vorstellbar sind. Und Scheinlösungen helfen nicht. Ein bisschen Wachstumsprogramm - ein Topf hier, ein Topf da - das ist Symbolpolitik, aber nicht mehr.

Die Staats- und Regierungschefs werden aber vor die Frage gestellt werden: Wollen wir die Währungsunion retten, ja oder nein? Wenn ja, brauchen wir eine Entscheidung: Wollen wir Transfermechanismen, die durch europäische Steuern oder Eurobonds finanziert sind? Oder wollen wir eine dezentrale Politik? Dann brauchen wird den Europäischen Währungsfonds. Diese Entscheidung muss gefällt werden.

Könnte ein Mix vieler kleiner Maßnahmen reichen? Etwas höhere Inflationsziele und Lohnabschlüsse in Deutschland und Co., ein etwas schwächerer Eurokurs, höhere EZB-Interventionen, Projektbonds, Arbeitsmarktinitiativen, gelockerte Sparziele, verlängerte Fristen . . .

Da wäre ein großer Schritt dabei: die EZB-Intervention. Das würde viel zur Beruhigung beitragen.

Und mit Anleihenkäufen in den bisherigen EZB-Dimensionen?

Das würde nicht ausreichen. Aber zumindest könnten die vielen Maßnahmen eine Eigendynamik in Gang setzen, die Vertrauen bei den Investoren bildet, sodass sie wieder investieren.

Zur Person

Gustav Horn (57) ist seit 2005 Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf und Professor an den Unis Flensburg und Duisburg. Er referierte in Wien bei einer Veranstaltung von AK Wien und Renner-Institut.