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Handelstreibende haben nach dem Atom-Deal große Hoffnungen auf eine rasche Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran.
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Teheran/Wien. Es ist ein heißer Sommernachmittag in Teheran. Smog und lautes Gehupe machen sich breit. Der Verkehr steht bei fast allen großen Knotenpunkten und auch im ärmlicheren Süden der 16-Millionen-Metropole spürt man die Auswirkungen des "Terafik" (Verkehrsstau). Auf dem großen Bazar von Teheran, dem wichtigsten Stimmungsbarometer der iranischen Wirtschaft, herrscht ein reges Kommen und Gehen. Laleh K., 24, Wirtschaftsstudentin, richtet sich im Taxi ihr Kopftuch. Eigentlich ist es ein grell-orange leuchtender Schal, der bei der Hitze als verpflichtende Kopfbedeckung herhalten muss. Laleh zückt ihr iPhone, checkt noch einmal etwaige neue Nachrichten auf Facebook und Twitter, die zwar offiziell verboten, aber dennoch omnipräsent sind. Dann drückt sie dem Taxifahrer, der sie vom noblen Norden zum Bazar gebracht hat, 8000 Tuman (etwas mehr als 2 Euro) in die Hand. "Behalten Sie den Rest und beten Sie für mich", ruft sie ihm noch nach.
Mystisch, erdrückendgroß und hektisch
Der Bazar von Teheran ist einzigartig. Er ist mystisch und erdrückend groß und hektisch zugleich. Ein Irrgarten voller Geheimnisse, Düfte und interessanter Begegnungen. Hier wird die persische Lebenskultur in all ihren Facetten regelrecht zelebriert. Der wichtige Markt hat in den letzten Jahren schwierige Zeiten durchgemacht. "Die Bevölkerung hatte kein Geld für ihren Lebensunterhalt und die verdammten westlichen Sanktionen in Zusammenhang mit dem Atomstreit taten das Übrige dazu, damit Teppich, Imbiss- und Pistazienhändler am Bazar drastische Umsatzeinbußen hinnehmen mussten", erklärt Laleh und schlendert zielorientiert zu einem Stoffhändler. Nach einer anfänglichen Begrüßungszeremonie (Taarof), die weit über das übliche "Wie geht’s?" hinausgeht, erkundigt sie sich nach einem passenden saphirblauen Stoff für ein elegantes Abendkleid. Ein junger Bursche, der weinrote Plastikschlapfen trägt, bringt entsprechende Stoffmuster und lauscht der Konversation. Wieder kommt das Thema Sanktionen zur Sprache. Mehrdad M. ist einer der renommiertesten Stoffhändler. Er ist ein alter Mann in seinen Siebzigern. Sein Gang ist behutsam, doch seine Augen und seine Stimme glühen noch voller Tatendrang. Zwischen Laleh und Mehrdad scheint es ein väterlich-töchterliches Verhältnis zu geben. "Geht es deinen Eltern gut? Hast du deine Abschlussprüfung gut gemacht?", will er wissen. Sie nickt. Mehrdad hat schon viel erlebt in seinem fünfzigjährigen Geschäftsleben am Teheraner Bazar und freut sich nach dem Atom-Deal vom 14. Juli auf bessere Zeiten.
"Die bitteren Jahre sind vorbei. Es kommt wieder der Frühling nach den ewig andauernden Schneestürmen. Bald werden die Sanktionen aufgehoben und dann können wir endlich aufatmen", resümiert er poetisch in Anspielung auf die schwierige Wirtschaftssituation der vergangenen Jahre.
Den Optimismus hat man hier noch nicht verloren. Denn noch ist der Deal nicht implementiert und die Sanktionen sind nicht aufgehoben. Selbst wenn die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) dem Iran Mitte Dezember in ihrem Abschlussbericht bescheinigt, dass sein Nuklearprogramm keine militärische Dimension hat und die nuklearbezogenen Sanktionen in der ersten Jahreshälfte 2016 aufgehoben werden, dauert es mindestens zwei Jahre, bis ein Mindestmaß an Normalität wieder einkehrt und das Ende der Strafmaßnahmen auch für die Bevölkerung spürbar wird.
Selbst verschuldeteMisswirtschaft
"Der Giftmix, der vielen Händlern das Genick gebrochen hat, war teuflisch. Zum einen die selbst verschuldete Misswirtschaft unter dem Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad zwischen 2005 und 2013. Die hat streckenweise zu einer Explosion der Arbeitslosigkeit auf über 30 und der Inflation auf über 50 Prozent geführt", unterstreicht Mehrdad. Durch die Isolierung des Iran vom internationalen Finanz- und Gütermarkt hätten die Händler zu dem ihr Auslandsgeschäft und die wichtigen Fremdinvestoren verloren. "Die Folge war, dass wir über zehn Jahre mit billigen und teilweise giftigen Schrottprodukten aus China überhäuft wurden", kritisiert der versierte Bazari. Und der Gipfel der Geschichte sei, dass diese Produkte ein billiges Dankeschön für das iranische Öl gewesen seien, das trotz des Sanktionsregimes nach China geflossen war. "Denn Geld haben wir keines gesehen", ärgert sich Mehrdad und schüttelt den Kopf.
Auch andere Händler können ein Lied von den Sanktionen singen. Die Bazari (Großhändler), die neben dem Erdölsektor die zweite Schlagader der iranischen Wirtschaft sind, haben viel mitzureden. Ein Sprichwort im Iran heißt: "Geht es den Bazari gut, geht es der Wirtschaft gut." Daher hatten sie in den vergangenen Jahren mehrmals ihren Unmut über die wachsenden Erschwerungen bei Iran-Geschäften kundgetan. "Die meisten unserer früheren Großkunden aus dem Ausland reagierten auf die verschärften Sanktionen und fuhren auf der Schiene ,Finger weg von Geschäften mit dem Iran‘ - und das hatte für uns verheerende Folgen", so einer der Großhändler im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auch die Bevölkerung selbst sieht sich mit horrenden Preiserhöhungen bei Mieten, Lebensmitteln und Treibstoffen konfrontiert. Sogar der "Rettungsanker" der ärmeren Schichten, das Subventionssystem, wurde von der Regierung Ahmadinejad auf ein Minimum gekürzt. Nach dem Deal gibt es wieder Hoffnungen und die sind sehr groß. Präsident Hassan Rohani und sein Außenminister Mohammad Javad Zarif sollen nach dem Atomstreit auch für mehr Rechte der Bürger und für eine Konsolidierung der Wirtschaft sorgen.
Für den Obersten Geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, steht momentan aber nur die Aufhebung der für den Iran schmerzhaften westlichen Wirtschaftssanktionen im Vordergrund. Vor allem die Wiederaufnahme des Iran in das internationale Finanztransaktionssystem Swift, das Ende des Öl- und Gasembargos der EU und die Rückkehr Teherans auf dem Investmentsektor stehen für ihn an oberster Stelle.
Wirtschaftlich muss sich die Führung ohnehin dringend etwas einfallen lassen: Die Öl- und Gasexporte haben wegen der internationalen Sanktionen Tiefstwerte erreicht. Auch der Ausbau der Raffinerien geht nicht so zügig voran wie erhofft, und so hat man im Iran das Phänomen, dass die Islamische Republik als Ölgigant Benzin für den eigenen Bedarf importieren muss.
Süßigkeiten und Safranteeals Krönung
Laleh hat sich einen schönen Stoff ausgesucht, nimmt sieben Meter, bezahlt und will schnell wieder nach Hause. Denn sie wolle nicht in den Abendverkehr kommen.
Auf dem Rückweg nimmt sie noch ein paar Süßigkeiten für ihre Mutter mit und gönnt sich eine Tasse heißen Safrantee. "Ich kann nicht sagen, wie die den Kardamon, den Kandis und den Safran zum Schwarztee mischen, aber hier im Bazar schmeckt der Tee himmlisch", schwärmt sie. "Vielleicht ist es auch die positive Atmosphäre, die ihn so bekömmlich macht", antwortet sie sich selbst.
An Tagen wie diesen machen die Händler wieder mehr Umsatz. Überhaupt sei nach dem Deal eine gewisse Bereitschaft in der Bevölkerung zu spüren, wieder mehr zum Bazar zu geben, tiefer in die Tasche zu greifen und die Wirtschaft anzukurbeln.
Ob die Folgen des Deals, wenn er implementiert wird und die Sanktionen fallen, wirklich so bald positiv spürbar werden, bleibt aber abzuwarten. Die Hoffnungen sind jedenfalls sehr sehr groß, sowohl bei den Händlern als auch bei den Käufern.