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Die Logik des Krieges besteht in der Unfähigkeit zum Kompromiss. Das zeigt sich derzeit wieder einmal im Nahen Osten.
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Die Arabische Liga setzt die Mitgliedschaft Syriens aus, sollte Bashar al-Assad nicht die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung nicht einstellen. Doch der reagiert weiter im Hall von Kanonendonner. Israel kündigt den Bau weiterer Siedlungen an, weil Palästina im Alleingang die Aufnahme in die Unesco vorangetrieben hat, testet eine atomar bestückbare Jericho-3-Rakete, lässt die Luftwaffe über Sardinien mit Verbündeten üben, kurz es rüstet für einen Kampf gegen den Iran, um "präventiv" einer atomaren Bedrohung zu begegnen. Die USA halten sich dem Iran gegenüber alle Optionen offen. Es steht schlecht um den demokratischen Frühling in Nahost.
Freunde und Verbündete Israels mögen Benjamin Netanjahus Äußerungen als Blendgranaten-Rhetorik abtun, um den internationalen Duck auf die "Atommacht" Iran zu erhöhen. Doch die Durchschlagskraft jeder Drohung ist so stark, wie ihre Umsetzung wahrscheinlich ist. Der Nahe Osten steht am Rande einer religiösen Eruption, sollte Israel das Säbelrasseln nicht bald einstellen. Der jüdische Staat vertut die Chance, den politischen Frühling in eine Phase dauerhaften Friedens ohne Mauern und Waffen zu überführen.
Der Freiheitsdrang lebt von einer Politik der Utopien, wohl wissend, dass sie unerreichbar sind. Gerade darin aber besteht der Sinn der Utopie. Aufbruch ist das Ziel, Fantasie und Kompromissbereitschaft sind der Weg. Im Zentrum israelischer Politik steht immer noch eine Sicherheitsdoktrin, in der Despoten wie Assad eine tragende Säule sind. Israel mag vom alten Freund-Feind-Bild nicht lassen, weil es in der Vergangenheit die Kräfteverhältnisse klar zu seinen Gunsten definierte. Das erinnert an den Kalten Krieg, der in der historisch erstarrten Form zu implodieren drohte und von Politikern mit Utopien rechtzeitig zu Grabe getragen wurde.
Israels Existenz ist nicht verhandelbar - genauso wie die Existenz eines autonomen Palästinenserstaates. Das bedarf eines neuen Denkens und keiner Trommelfeuer-Rhetorik für den Erhalt des Status quo. Jedes Staatswesen folgt einer historischen Logik. Das ist keine neue Erkenntnis, erschreckend ist, dass das nicht wahrgenommen wird. Jeder Mensch, jedes politische System definiert sich durch die Existenz anderer. Dies gilt für Irans Präsidenten genauso wie für Israels Premier. Beide agieren in autarken Wertesystemen. Dies zur Kenntnis zu nehmen ist der erste und entscheidende Schritt zur Koexistenz. Die Konfrontation kann nur den friedlichen Kompromiss zum Hauptnenner haben - vorausgesetzt, der Wille zum Frieden ist die Grundlage des Denkens. Die Kriege der jüngsten Zeit, in Afghanistan, im Irak oder in Afrika, sind die besten Belege dafür, dass Kanonendonner eine unzeitgemäße Geräuschkulisse ist. Und noch etwas sollte allgemeiner Kenntnisstand sein: Die Grenzen der eigenen Machtentfaltung sind auch die Grenzen der Machtentfaltung anderer. Wer droht, muss die eigene Bedrohung akzeptieren. Wer angreift, muss Angriffe akzeptieren. Albert Camus’ Philosophie von Maß und Grenzen ist die Philosophie der Zukunft. Frankreichs Präsident hat schon einmal in diese Richtung gedacht. Man sollte ihm folgen.