Europa überlegt einen Flüchtlingsdeal mit Kairo - nach dem türkischen Vorbild. Dabei treibt Ägyptens Regime die eigenen Bürger ins Meer.
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Kairo. Etwa 150 Tote sind vor zwei Wochen bei Rosetta vor der ägyptischen Küste aus dem Meer geborgen worden. Sie waren beim Versuch, Europa übers Mittelmeer zu erreichen, ertrunken.
Seit der Schließung der Balkanroute suchen Migranten und Flüchtlinge nach neuen Wegen. Neben Österreichs Bundeskanzler Christian Kern forderte auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, ein Flüchtlingsabkommen mit Ägypten nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens. Konkret soll das so laufen, dass die Kooperation Kairos im Rahmen einer in Aussicht gestellten Finanzspritze des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingefordert wird. Dieser hat Ägypten ein Darlehen von zwölf Milliarden US-Dollar über drei Jahre in Aussicht gestellt. Europas Zustimmung könnte an ein Flüchtlingsabkommen geknüpft werden.
Ägypten hat die Geldspritze dringend nötig. Die Wirtschaft liegt am Boden. Die bisherigen Geldgeber für das Nilland, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, haben sich zurückgezogen. Hinter vorgehaltener Hand hört man am Golf, dass Ägypten ein Fass ohne Boden sei. Nun also will der IWF auf Drängen der Europäer einspringen - mit dem Argument der "Flüchtlingsbekämpfung". Was mit der Türkei funktioniert, soll auch mit Ägypten zum Erfolg führen. Doch aus der Türkei fliehen zumeist Syrer und Iraker, kaum Türken. Von den Mittelmeerküsten Ägyptens indes sind die meisten Flüchtlinge Einheimische. Das hat das erwähnte Bootsunglück gezeigt: Die Mehrheit der Geretteten waren Ägypter. Die Regierung in Kairo tut alles, um diese Tatsache zu vertuschen und spricht offiziell von Eriträern, Somaliern und Äthiopiern. Dazu passen aber nicht die heulenden Mütter am Strand von Alexandria, die ihre Söhne in den Fluten verloren haben. Das Staatsfernsehen behauptet, dass die Kinder ohne Wissen der Eltern den gefährlichen Trip wagten. Dabei kostet eine Überfahrt nach Italien bis zu 5000 US-Dollar. Für einen Minderjährigen ist dies wohl kaum zu leisten. Recherchiert man weiter, so erfährt man, dass die Familien oft alles an finanziellen Mitteln zusammenkratzen oder sich Geld borgen, um ein Mitglied ins gelobte Europa zu schicken. So wird in Rosetta, wo das Boot in Küstennähe gesunken ist, von einer Familie berichtet, die bereits zwei Kinder auf dem Weg nach Lampedusa verloren hat und nun Geld spart, um ein drittes loszuschicken.
Italien hat vor einigen Jahren ein Gesetz verabschiedet, wonach minderjährige Flüchtlinge nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können, Erwachsene hingegen schon. Es muss also schlimm um einen Staat bestellt sein, dessen Bürger in Massen davonlaufen und sich einer Gefahr aussetzen, die immer dramatischere Züge annimmt. Die Gründe der Flucht für die Ägypter sind mitnichten in Bürgerkriegen zu suchen, wie in Syrien und dem Irak. Auch wenn Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi nicht müde wird, seinen Kampf gegen den Terror immer wieder zu betonen, so ist die Sicherheitslage in Ägypten um vieles besser als bei seinen Nachbarn. Ägypter fliehen nicht wegen Al-Kaida oder Daesh, sondern wegen der verfehlten Politik ihrer Staatsführung, eines autokratischen, korrupten Regimes, das seine Gegner in überfüllte Gefängnisse steckt und foltern lässt, es nicht vermag, die Wirtschaft anzukurbeln, um Arbeitsplätze zu schaffen, und fast 30 Prozent der 85 Millionen Einwohner unter dem Existenzminimum leben lässt. Mit den IWF-Milliarden werden ganz sicher keine Flüchtlingsunterkünfte gebaut, wie in der Türkei, sondern hungrige Mäuler gestopft, damit der Pharao in Kairo keine Brotunruhen befürchten muss.
Längst ist man in den westlichen Ländern zu den alten Tagen zurückgekehrt, als Stabilität wichtiger war als Demokratie und die Despoten des Nahen und Mittleren Osten den roten Teppich ausgerollt bekamen, wann immer sie Europa besuchten.