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Die Botschaft der Wellen

Von Christian Hoffmann

Reflexionen

Sich allein auf das Meer hinauszuwagen, hat einen ganz besonderen Reiz. Es muss ja nicht gleich eine Weltumseglung sein. Auch bei einem zweiwöchigen Segeltörn zwischen Lübeck und Kopenhagen kann man herausfinden, wie man auf sich allein gestellt mit der See zurechtkommt.


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Schwarze Wolken schieben sich über die Küste von Holstein. Ich beobachte sie schon seit einer Weile. Und als sie mich dann einholen, wird es dunkel. Der Wind frischt noch weiter auf, Hagelkörner fliegen waagrecht vorbei und stechen ins Gesicht. An der Tonne "Schwarzer Grund" drehe ich das Schiff bei und kauere mich, eingemummt ins Ölzeug, in den Niedergang, um mich ein bisschen aufzuwärmen. Hier, in Nordost der Küste, bin ich bereits in Sicherheit, der Südwind treibt mich zuverlässig von der Untiefe weg. Ich kann also Tee aus meiner Thermoskanne trinken und ein Weilchen verschnaufen.

Es ist der erste Tag. An diesem Morgen bin ich aufgebrochen. Das Schiff lag am Unterlauf der Trave, etwas außerhalb der Stadt Lübeck, in einem kleinen Hafen gegenüber dem Schlutuper Wiek, zwischen einer Werft und einem Elektrizitätswerk. Es heißt "Kassiopeia" wie das Sternbild, ist acht Meter oder 26 Fuß lang und wurde vor dreißig Jahren von der schwedischen Werft Marieholm gebaut. Ein kleines seetüchtiges Boot mit langem Kiel, 1,20 Meter Tiefgang und mehr als einer Tonne Ballast, ein Bootstyp, mit dem Wagemutige auch schon den Atlantik überquert haben.

Am Boot sollte also das Vorhaben nicht scheitern: Ich habe mir vorgenommen, die "Kassiopeia" alleine nach Kopenhagen und zurück zu segeln. Es ist September, die ersten herbstlichen Tiefdruckgebiete nähern sich der Ostsee. Für die nächsten Tage erwarten die Meteorologen Winde aus südlicher Richtung, fünf bis sechs Beaufort, eine ideale Wetterlage, um so schnell wie möglich nach Norden vorzustoßen.

Dass ich alleine unterwegs bin, ist keine Frage eines Prinzips. Da keiner meiner Freunde Zeit hatte und meine Frau die nördlichen Meere zu kühl und unwirtlich findet, hat es sich von selbst ergeben, dass ich "einhand" unterwegs sein werde, wie das so schön heißt. Wobei das Wort "einhand" nichts mit meinen Händen zu tun hat. Im englischen und norddeutschen Sprachgebrauch wird jede Arbeitskraft an Bord eines Schiffes "Hand" genannt. Und wenn nur eine solche Arbeitskraft zur Verfügung ist, wie in meinem Fall, segelt man einhand.

Zugleich ist das Einhandsegeln mit einem Mythos umgeben. Jeder, der etwas von Schiffen und vom Meer versteht, fragt sich irgendwann, wie er wohl alleine da draußen zurecht käme. Wobei sich eine solche Frage nicht nur auf technische Einzelheiten bezieht, sondern auf die Gemütsverfassung angesichts der riesigen Weite. Deswegen gibt es unter den Einhandseglern so sagenumwobene Figuren wie Joshua Slocum, den ehemaligen Kapitän, der 1895 mit seinem Schiff "Spray" alleine den Atlantik überquerte und zum Ahnherrn der Einhandsegler wurde, oder den Briten Sir Francis Chichester, der für die Weltumseglung, die er im Jahr 1966 einhand bewältigt hatte, von der englischen Königin zum Ritter geschlagen wurde, übrigens mit genau dem Schwert, mit dem auch Francis Drake in den Adelsstand erhoben worden war.

Dänische Windräder

Nun, ich will mich weder mit Slocum noch mit Chichester vergleichen, aber stolz bin ich schon, als ich die "Kassiopeia" nach diesem munteren Ritt über die Lübecker Bucht sicher in den Hafen Burgtiefe auf der deutschen Insel Fehmarn bringe. Auch das Anlegen ist kein Problem. Es bestätigt sich die alte Erfahrung, dass, je weniger Leute an Bord sind, umso genauer jeder Handgriff überlegt sein muss. So lasse ich mir vom Wind helfen, der das Schiff in eine freie Box schiebt, mache die Leinen fest und heize den Spirituskocher an, um das Abendessen zuzubereiten.

Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung gibt es beim Einhandsegeln keine Sekunde Langeweile. Kleider zum Trocknen aufhängen, Kochen, Essen, Wetterbericht besorgen, Navigation für den nächsten Tag vorbereiten - lange vor Mitternacht falle ich erschöpft in meine Koje. Ich achte auf meinen Schlaf und gehe auch mit dem Alkohol sehr vorsichtig um. Die Wellen, die ich am nächsten Tag zu erwarten habe, werden gut zwei Meter hoch sein. Da ist unterwegs voller Einsatz gefordert.

Anderntags bin ich mit dem ersten Tageslicht auf den Beinen und mache mich auf den Weg nach Dänemark. Je weiter ich die Lübecker Bucht hinter mir lasse, desto höher wird die See, die der Wind aufbaut. Bald ist die deutsche Küste nur noch ein ferner Streifen am Horizont und ich bin weit und breit allein. Auch auf den großen Schifffahrtsrouten im Fehmarn Belt, die nach Polen, Schweden, Finnland und Russland führen, ist kaum Verkehr. Nur einmal donnern Düsenjäger der deutschen Luftwaffe im Tiefflug über das einsame Meer, ein Höllenlärm, bei dem ich mich am liebsten in der Kajüte verkriechen würde.

Doch dann ist es wieder still. Festland ist nicht mehr in Sicht. Der Horizont ist ganz zurückgewichen, ich bin alleine mit Wind und Wellen, mit diesen gewaltigen Kräften, die unentwegt an dem kleinen Schiff arbeiten. In diesem Augenblick kämpft so mancher Einhandsegler mit seinem inneren Gleichgewicht. Kapitän Slocum notierte im Juli 1895 auf See: "In diesen Tagen beschlich mich ein Gefühl der Furcht", und beobachtet an sich selbst, dass dieses Gefühl erst wieder bei schlechtem Wetter verschwand, wenn er alle Hände voll zu tun hatte.

Eine größere Einsamkeit als angesichts der Weite des Meeres kann man sich kaum vorstellen. Doch mit mir geschieht das Gegenteil, angesichts dieser Ahnung einer Unendlichkeit, vor der der Mensch winzig ist, packt mich ein überströmendes Glücksgefühl, wie ich es kaum jemals erlebt habe.

Vielleicht rührt meine Hochstimmung auch daher, dass sich endlich die Sonne zeigt und das Schiff mit dem guten Wind rasch nach Norden vorankommt. Am frühen Nachmittag sehe ich schon die Windräder, die die dänische Südküste säumen. Sie fuchteln mit ihren langen Rotorarmen, als hätten sie etwas furchtbar Wichtiges mitzuteilen. Das Meer baut im flachen Sand eine ruppige, steile Welle auf, die kleine "Kassiopeia" setzt mit wilden Sprüngen über jeden Wellenkamm, der Autopilot quittiert mit verdrießlichem Klappern seinen Dienst, und ich klammere mich an das Ruder, um das Boot in die Fahrrinne zu bringen, die uns sicher zum Hafen von Gedser führt.

WetterPrognosen

In Gedser liegen bereits einige Einhandsegler, die darauf warten, dass der Wind schwächer wird. Einer, ein Holländer, hat den Plan, nach Kopenhagen zu segeln, aufgegeben. Ein Deutscher hat irgendetwas von fürchterlichen Stürmen gehört, die uns in den nächsten Tagen heimsuchen sollen. Die Stimmung in dem ruhigen Hafen, in dem man nur das ferne Donnern der Brandung hört, ist ein wenig verzagt.

Ich berate mich ausgiebig mit dem dänischen Hafenmeister und beschließe, an meinem Plan festzuhalten. Angeblich erwarten die dänischen Wetterdienste nach dem Durchgang einer Kaltfront in ein paar Tagen eine Winddrehung auf Nord. Wenn ich vor dem Eintreffen der Front Kopenhagen erreicht habe, sollte auch die Rückkehr zu bewältigen sein.

Außerdem habe ich meinen Rhythmus gefunden: Um vier Uhr aufstehen, gut frühstücken und mit dem ersten Tageslicht hinaus aus dem Hafen. So erreiche ich Kopenhagen nach zwei weiteren intensiven Segeltagen und einen Zwischenstopp im Hafen von Klintholm auf der Halbinsel Moen. Am späten Nachmittag des zweiten Tages begrüße ich höflich den Leuchtturm Drogden im Öresund, der die Südeinfahrt von Kopenhagen markiert. Dahinter spannt sich die Brücke nach Malmö, die Verbindung von Dänemark und Schweden.

Inzwischen hat der Sturm eingesetzt, von dem der Deutsche in Gedser gesprochen hatte. Zehn Windstärken erreichen die Böen, was dann doch mehr zu sein scheint, als "Kassiopeia" und ich vertragen hätten. Ich bleibe im sicheren Hafen, miete mir ein Fahrrad, sehe mich in Kopenhagen um und trete, sobald es das Wetter erlaubt, die Heimreise an. Bei immer noch gut sieben Windstärken lasse ich mich unter kleinen Segeln nach Dragoer treiben, einem alten Fischerdorf im Süden von Kopenhagen.

Natürlich hat der Wind nicht auf Nord gedreht. Doch liege ich gut in der Zeit und kann es mir leisten, geduldig nach Süden zu kreuzen. Eine intensive Beschäftigung, bei der mich die Wellen, die nun entgegenkommen, immer wieder von Kopf bis Fuß waschen. Mein Gesicht ist von Salz verklebt. Offenbar wirke ich ziemlich erschöpft, als ich nach zwei weiteren Tagen den kleinen Fischerhafen von Hesnaes anlaufe, um zu verschnaufen. Ein paar ältere Damen, die sich dort ein windgeschütztes Plätzchen für ein Picknick gesucht haben, bringen mir Kaffee und Kuchen ans Schiff.

Die nächsten Tage werden ruhig, der Wind lässt vor dem Eintreffen der nächsten Front nach. Allmählich beruhigt sich auch die Dünung. Über Gedser laufe ich Grömitz an, einen Badeort an der Lübecker Bucht, und kehre von dort zum Ausgangshafen zurück. Beim Anlegen verspüre ich eine tiefe Zufriedenheit, die mich noch wochenlang begleiten wird. Nach der langen Zwiesprache mit der See bin ich ganz zu mir selbst gekommen.

Die "Kassiopeia" wurde gechartert bei

Klassik Yachtcharter.

Staackwerft

Herrenwyker Straße 8

23569 Lübeck

T: 0049 451-2036356

www.klassik-yachtcharter.de