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Auch 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens gegen Landminen lauert der Tod in vielen Staaten noch immer knapp unter der Erde. In Uganda kämpft die Überlebende und Aktivistin Margaret Orech dafür, dass die Opfer nicht vergessen werden.
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Kampala. 19 Jahre, nachdem eine Landmine Margaret Arach Orechs rechtes Bein zerfetzte, steht sie auf der Piste in Norduganda, an der es passierte. Über ihrer Prothese trägt sie ein buntes Blumenkleid, in das sie ihre Hände vergräbt. Es reicht fast bis zum Boden. Ein weiches Abendlicht legt sich über die Farne in der Landschaft, erste Regentropfen färben die Erde dunkel. Orechs Blick wandert die unbefestigte Straße entlang, über eine kleine Brücke, die durch einen Sumpf führt, vorbei an Strohhütten. Die Piste biegt scharf dort nach rechts ab.
"Von dort kamen wir damals mit dem Bus", sagt Orech mit leiser, brüchiger Stimme. Sie hat die Biegung wiedererkannt, nach einer stundenlangen Fahrt mit dem Jeep. Seit mehreren Jahren war sie nicht mehr hier. Nun steht die 62-Jährige gedankenverloren am Straßenrand. Schwarze Wolken schieben sich übers Land. "Mit den Erinnerungen", sagt sie, "kommt auch der Schmerz in meinem Beinstumpf wieder."
Margaret Arach Orech ist eines von offiziell rund 2800 Landminenopfern in Uganda. Mehr als 500 starben aufgrund der Explosion, die anderen leben mit Behinderungen. Die Regierung Ugandas erklärte das Land 2012 für "landminenfrei", wenn auch Bewohner nach wie vor vereinzelte Sprengkörper finden. Uganda ist verpflichtet, Landminen zu räumen, weil es die Ottawa-Konvention gegen Antipersonenminen ratifiziert hat.
Ein Griff ins Leere
Das Abkommen wurde im Oktober 1997 in der kanadischen Hauptstadt unterzeichnet - ein internationaler Erfolg. Seit es in Kraft trat, wurden weltweit mehr als 50 Millionen lagernde Sprengkörper zerstört. 27 Staaten haben ihr Land vollständig von Minen geräumt. Noch im Jahr 1999 zählte die Internationale Kampagne gegen Landminen durchschnittlich 25 Opfer pro Tag. Bis 2013 sank die Zahl auf ein Drittel. Doch die Kriege in Afghanistan, im Jemen, in Libyen, Syrien und der Ukraine haben sie wieder ansteigen lassen: Nach Angaben der Kampagne wurden 2016 mindestens 2000 Menschen durch Landminen getötet und mehr als 6500 Personen verletzt.
Am Tag vor Weihnachten 1998 sitzt Orech angespannt in einem Minibus, der von der Stadt Kitgum Richtung Süden rast. Keiner der 24 Passagiere redet, alle sind nervös. Sie wissen, wie gefährlich diese Straße ist. In der ugandischen Provinz morden christliche Extremisten der Lord’s Resistance Army (LRA), der sogenannten Widerstandsarmee des Herrn. In der Kurve muss der Busfahrer bremsen. Es knallt. Ein Reifenplatzer, denkt Orech im ersten Moment. Dann greift sie nach ihrem Bein - ein Griff ins Leere.

Regierungssoldaten finden sie später in einem Feld, auf der Ladefläche eines Lkw schafft sie es ins Krankenhaus. Dort besuchen sie Mitarbeiter eines Behindertenverbands und bitten sie, an einer Konferenz für Menschen mit Behinderung in Harare, Simbabwe, teilzunehmen. Orech ist geeignet, weil sie Englisch spricht. Das Landminenverbot war erst im Vorjahr unterzeichnet worden. Für sie beginnt damit ein neuer Abschnitt: ein Leben als Aktivistin. Die Kampagne gegen Landminen, eine NGO in Genf mit drei Mitarbeitern, ausgezeichnet 1997 mit dem Friedensnobelpreis, ernennt sie 2006 zu einer ihrer vier Botschafterinnen.
Einer der Kampagnenforderungen lautet: "Finish the job", erledigt die Aufgabe. Zwar ist der Einsatz von Minen heute mit internationaler Ächtung verbunden. Abgeschafft sind sie aber nicht. China, Russland, die USA, Indien und Pakistan horten große Minenvorräte. Einzelne Länder wie Myanmar produzieren nach wie vor Minen, die burmesische Armee setzt sie sogar als Waffe ein. Minen finden sich nun auch in Syrien, dem Jemen und der Ukraine. Noch immer haben 33 Länder das Antiminen-Abkommen nicht unterschrieben. Noch immer liegen in den Böden von fast 60 Ländern Landminen, die jederzeit Menschen töten oder verstümmeln können. Meistens trifft es Zivilisten wie Margaret Orech.
Ein Bauer braucht zwei Beine
"Die meisten Landminenopfer in Uganda bestellten als Kleinbauern Felder", sagt Orech. "Ohne Beine oder Arme geht das nicht mehr." Mit ihrer Hilfe organisieren sich Landminenüberlebende und Familienangehörige von Opfern in den Städten, in Gulu, Lira, Kigum, Yumbe. Manchmal schaffen sie es, Spenden aufzustellen, damit Amputierte eine Ausbildung absolvieren können. Damit sie lernen, einen Computer zu bedienen oder Geflügel zu züchten, und somit keine Belastung mehr für ihre Familien sind.
Am Abend, nachdem Orech den Ort ihres Unfalls besucht hat, sitzt sie in einem Hotel in der Stadt Gulu und atmet durch. Sie trägt einen weinroten Pullover und eine schwarze Weste, ihre Haare hat sie zu einen Knoten zusammengebunden. Durch eine Brille blickt sie konzentriert auf einen Laptop, der mit Stickern beklebt ist. Zwei Dreiecke zeigen explodierende Minen, ein anderer schreit in Großbuchstaben "Verbietet Streumunition". Sie ist unterwegs, um Opfer zu besuchen, sich ihre Geschichten und Probleme anzuhören, Neuigkeiten zu erfahren. Der Norden Ugandas ist ihr vertraut, sie spricht die lokale Sprache Lango. Im Hotel beantwortet sie E-Mails und schreibt für die Kampagne gegen Landminen auf, was sich in Uganda tut. Es ist nicht viel, sagt sie.
Hilflose Helfer
Orech wünscht sich mehr Unterstützung für ihre Arbeit. "Besonders frustrierend ist es, missverstanden zu werden", sagt sie. Das beginnt bereits mit dem Titel Botschafterin der Kampagne gegen Landminen. Botschafterin klingt nach einem hohen Amt, nach Einfluss und nach Geld. Besucht sie das ländliche Uganda, noch dazu mit weißen Journalisten, versammeln sich Amputierte um sie. Sie können sich weder eine Prothese leisten noch die Fahrt nach Gulu, wo die staatliche Orthopädie-Werkstatt Prothesen kostenfrei anfertigt. Sie erwarten sich Hilfe. Aber Orech kann nichts Konkretes anbieten. Nur Ratschläge und Ideen. Ihr Titel ist symbolisch. Ihre Organisation, die Uganda Landmine Survivors Association, ist pleite.
Zehn Jahre arbeitete Orech ehrenamtlich, bevor sie das erste Mal unterstützt wurde. Die Kampagne gegen Landminen und die japanische Entwicklungshilfe finanzieren ihr in einzelnen Jahren ein Büro. Die NGO Mines Action Canada schickte Praktikanten nach Uganda. Doch seit zwei Jahren habe ihr Verein keine Förderungen mehr erhalten, sagt sie. Ihre derzeit vier Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, weil sie von ihrer Aufgabe überzeugt sind oder um Erfahrung zu sammeln in einem Land, in dem Jobs rar sind. Doch bald müssen sie ihr Büro räumen, weil sich Orech die Miete nicht mehr leisten kann.
Die Umsetzung stockt
In ihrem Haus in Ugandas Hauptstadt Kampala hängen Plaketten und Mitbringsel aus Ländern, die sie besucht hat, um auf das Schicksal von Minenopfern aufmerksam zu machen. Orech war in Jordanien, Chile und Ghana, in Nicaragua, Costa Rica und Kolumbien; 44 Länder hat sie bis heute besucht, sie hat überall Verbündete. Orech hat Außenminister, US-Senatoren und Präsidenten getroffen. Mit Paul und Linda McCartney hat sie Hände geschüttelt. Im Dezember begrüßte sie Prinzessin Astrid von Belgien in Wien. Seit zwei Jahrzehnten, sagt Orech, will sie nur eines: "Eine gefahrlosere Welt." Es hat sich viel getan. Konferenzen wurden veranstaltet, Gesetze unterzeichnet. Immer mehr Staaten haben Landminen verboten. Aber Gesetze müssen auch umgesetzt werden. Staaten sollen ihre Landminenopfer unterstützen, so sieht es das Anti-Landminenabkommen vor. Doch der Hilfeplan der ugandischen Regierung lief 2014 aus. Seitdem ist nichts passiert. "Es ist an der Zeit, dass die Regierung ihren Job macht", sagt Orech. Ein wenig Kampfgeist klingt noch durch. Solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung, das ist ihre Überzeugung. Der christliche Glaube, den die LRA-Kämpfer für ihren Terror missbrauchen, der Orech ihr Bein kostete, er hat ihr bisher auch geholfen, weiterzumachen.