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Nicht nur im Umgang der deutschen Behörden, sondern auch der Öffentlichkeit mit dem Neonazi-Terror sollte es ein Umdenken geben.
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Der rabiate Rechtsextremismus mit seiner schrecklichen Mordspur durch ganz Deutschland belegt nach den jüngsten Entdeckungen deutlich den gut organisierten, von Behörden unbehelligten neonazistischen, rassistischen Terror. Vor allem in Thüringen ist die Neonaziszene stark vertreten; und sie hat Verbindungen zur NPD, die wegen vieler eingeschleuster V-Leute nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichts nicht verboten werden durfte.
Je mehr Details bekannt werden, desto verworrener zeigt sich die Sachlage. Das Mördertrio prahlte nicht, wie bei Terrorakten anderer üblich. Es war Verfassungsschutz und Polizeibehörden bekannt und konnte trotz Observation 1998 abtauchen - und frei und munter in Deutschland agieren. Trotz bester Fahndungseinrichtungen bei Polizei und Verfassungsschutz. Politiker aller Lager fordern nun lückenlose Aufklärung. Der Verdacht steht im Raum, dass nicht nur mittels V-Leuten die Neonazis indirekt unterstützt wurden, sondern dass direkte Hilfen (Tipps, Hinweise, Papiere) den Untergetauchten gefahrloses Handeln durch rechtzeitige Flucht zugelassen wurde.
Das Problem liegt auch in der öffentlichen Wahrnehmung des Neonazi-Terrors. Linksextreme Gewalt, die sich bisher in brennenden Autos oder Krawallen äußerte, verstört die Öffentlichkeit weit mehr als der Mordterror, den man wegen der (hergestellten?) Unbekanntheit Einzeltätern zuschrieb. Das Problem rassistisch motivierter Morde und Gewalttaten ist irgendwie tabuisiert. Jetzt ist es unübersehbar und erfordert Maßnahmen.
Die rechtsradikale Szene darf nicht isoliert betrachtet werden. Man muss die gesellschaftlichen Bedingungen für ihre Existenz und Prosperität bedenken. Sie ist auch ein Resultat tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen und Krisen. Es ist kein Zufall, dass die Neonazis besonders in Ostdeutschland so prominent vertreten sind. Hinzu kommen islamistischer Terror und der Umgang damit. Seit 9/11 wurden in allen Staaten Europas Bürgerrechte rasant abgebaut, erhielt die Exekutive schier unumschränkte Rechte für Überwachung, Kontrolle und Verfolgung. Die "Pannen" mit dem Neonazi-Terror sind vor diesem Hintergrund besorgniserregend, weil sie darauf hindeuten, dass einem geübten Bias zufolge "zielgerichtet" operiert wird, dass die Rechtsextremen als geringe oder geringere Gefahr gesehen und weniger aufmerksam beobachtet und verfolgt werden, ja dass sogar eigentlich illegale staatliche Kooperationen erfolgen.
Polizeimaßnahmen ersetzen nicht Politik und Bildung. Auch lückenlose Überwachung ändert Ideologien und Motivationen nicht. Es braucht politische und wirtschaftliche Bedingungen, damit die Gruppe jener, die sich verraten und verkauft fühlen, zukunftslos desperat für sich keine Chancen sehen und sich mittels Sündenböcken einfache Erklärungen verschaffen, nicht wächst. Billiger Populismus begünstigt diese fatale Entwicklung, vor allem, wenn er für ein Hassklima sorgt. Dann werden Opponenten zu tödlichen Feinden. Dafür gibt es in Europa genug Beispiele. Sagen wir nicht, wir hätten es nicht gewusst!