Zum Hauptinhalt springen

Die Brexit-Rebellen meutern

Von Michael Schmölzer

Politik

Die britische Premierministerin beharrt auf ihrem Deal mit der EU. Die Tory-Verschwörer planen eine Palastrevolution.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

London/Wien. Der britischen Premierministerin Theresa May sind die Strapazen der letzten Stunden ins Gesicht geschrieben. Als sie am Donnerstag vor die Medien trat, wirkte sie müde. Die endlosen Streitigkeiten um den Brexit-Deal, die Marathonsitzungen und die Parlamentsdebatten haben ihre Spuren hinterlassen.

Die Regierungschefin ist angeschlagen, aber sie will kämpfen. Immerhin steht das Kabinett - oder das, was von der britischen Regierung noch übrig ist - hinter ihr. Entweder, es werde jetzt nach ihren Regeln gespielt oder es gebe gar keinen Brexit, hatte May am Donnerstag in Downing Street 10 gedroht. Wenig später warfen vier Regierungsmitglieder das Handtuch. Den Anfang machte Brexit-Minister Dominic Raab. Er könne die Vereinbarung nicht mittragen. Vor allem die Passagen über den künftigen Status von Nordirland seien indiskutabel, sagte er.

Dann nahm die Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman wütend ihren Hut. Das, was da jetzt mit der EU vereinbart worden sei, habe mit einem Brexit nichts gemein, schieb Braverman in einem per Twitter versandten offenen Brief. Das sei nicht das, wofür man sich im Juni 2016 bei der Volksabstimmung entschieden habe. Mit der gleichen Begründung nahmen Arbeitsministerin Esther McVey und der Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara ihren Abschied.

Politischer Paukenschlag

Der Rücktritt Raabs kommt einem politischen Paukenschlag gleich. Mit ihm ist der zweite Brexit-Minister in Folge abtrünnig geworden - erst vor wenigen Monaten sagte David Davis "Goodbye".

Hier wird das ganze Fiasko, in das sich Großbritannien mit voller Fahrt nach 2016 hineinmanövriert hat, deutlich. Umweltminister und Brexit-Befürworter Michael Gove, der Raabs Nachfolge antreten soll, weigerte sich, den Job zu übernehmen. Stattdessen spielt Gove offen mit dem Gedanken, selbst zurückzutreten.

Noch hat es May mit passiven Widerstand zu tun. Es gibt aber Berichte, dass ihr eine Meuterei ins Haus steht. Britische Medien verweisen auf Informationen aus Tory-Kreisen, wonach ein Sturz Mays erwogen wird. Für einen Misstrauensantrag wären die Stimmen von 48 Tory-Parlamentariern notwendig. Ein derartiges Votum wird dann schlagend, wenn es von mehr als 15 Prozent der konservativen Abgeordneten per Brief gefordert wird. Mittlerweile haben sich bereits 80 konservative "Brexiteers" zusammengerottet, die zum Teil ganz offen zu einer Palastrevolution aufrufen. Wie etwa die Abgeordnete Nadine Dorries.

Zu den Anführern der Aufständischen zählen Ex-Außenminister Boris Johnson und der stets etwas steif wirkende konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg. Der Multimillionär gilt als gefährlichster Widersacher Mays und hat ihr am Donnerstag persönlich das Misstrauen ausgesprochen.

Eine der Fragen, die sich die Meuterer stellen, ist die des richtigen Zeitpunktes. Viele sind dafür, dass man bis zur Abstimmung im britischen Parlament wartet - der Deal mit der EU muss dort von einer Mehrheit abgesegnet werden. Zuletzt war als Termin der 10. Dezember genannt worden. Ob die Abstimmung verschoben wird oder gar nicht stattfindet, ist offen.

Das britische Unterhaus gleicht aus Mays Sicht derzeit einem Standgericht. Da gibt es zum einen die Rebellion in den eigenen Reihen, auch die meisten Abgeordneten der oppositionellen Labour Party sind gegen sie, ebenso wie die nordirischen Mandatare der DUP, die Liberaldemokraten und die schottischen Nationalisten.

Die Feindseligkeit, die May am Donnerstag entgegenschlug, war mit Händen zu greifen. Die Zahl der Wohlwollenden schien an einer Hand abzählbar, die Regierungschefin sitzt zwischen allen Stühlen. Die Brexiteers werfen der Premierministerin den Verrat britischer Interessen vor, die Pro-Europäer schütteln den Kopf und sehen in einem Austrittsvertrag, so wie er jetzt auf dem Tisch liegt, keinen Sinn. Es ist gut möglich, dass Mays Kartenhaus jeden Moment in sich zusammenfällt.

May spielt auf Zeit

May kann vorerst nur auf Zeitgewinn spielen. Der EU-Gipfel am 25. November in Brüssel ist fix. Sollte May bis zu diesem Datum politisch überleben, könnte sie das Treffen als Plattform nutzen, um an die Vernunft ihrer britischen Mitbürger zu appellieren. Mays Hoffnung besteht darin, dass sich Labour bei der Parlamentsabstimmung der Stimme enthält. Und, dass die dissidenten Tory-Abgeordneten aus Angst vor Neuwahlen und einer drohenden Machtergreifung Labours klein beigeben. Es könnte sich, so Mays Kalkül, mit dem Fortschreiten der Zeit die Überzeugung festsetzen, dass es einen besseren Deal nicht geben wird. Genau das ist es, auf was die Premierministerin immer hinweist. Die - gefährlichen - Illusionen von britischer Stärke und Selbstbestimmung, denen sich die Brexit-Befürworter bis heute hingeben, könnten einer realistischen Sichtweise weichen.

Sollte das Votum scheitern, dann wäre May wohl versucht, ihr Heil in Neuwahlen suchen. Wie die dann ausgehen, ist offen. Zuletzt hat die Premierministerin mit vorgezogenen Neuwahlen kein Glück gehabt und die Mehrheit der Tories - leichtfertig, wie Kritiker sagen - verspielt. Sollte May nicht tätig werden, wäre Labour zur Stelle: Zustimmung verweigern, Neuwahlen erzwingen, Macht erringen, so die Devise. Das Brexit-Chaos wäre damit nicht aber beseitigt, sondern nur verlagert.

Die Stunde der Wahrheit rückt näher, auch deshalb, weil May an dem vorliegenden Vertragsentwurf nicht mehr rütteln will. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat ebenfalls klargemacht, dass es eine Neuverhandlung nicht mehr geben wird. In London stellt man sich auf turbulente Tage ein.