)
Die niedrig hängenden Früchte am Wachstums-Baum sind abgeräumt, sagt Schwellenland-Expertin Rachel Ziemba.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": China hat vor kurzem die Brics-Bank ins Leben gerufen. Will China damit eine chinesische Alternative zu den Bretton-Woods-Institutionen wie etwa der Weltbank schaffen?Rachel Ziemba: Ich glaube nicht, dass China Alternativen zu den internationalen Finanz-Institutionen wie Weltbank oder Währungsfonds aufbauen will. China fühlt sich - wie eine ganze Reihe anderer Länder auch - benachteiligt, wenn es um die Repräsentation in diesen Institutionen geht. Gleichzeitig entwickelt China ein Netzwerk von bilateralen Handels- und Wirtschaftsziehungen, zuletzt etwa mit Russland.
Wie sehen Sie die Beziehungen zwischen China und Russland?
China hat dabei ganz klar die Oberhand. Russland steht derzeit im Abseits, ist von den internationalen Finanzmärkten abgeschnitten und leidet unter Sanktionen. Bei den Gas-Geschäften, die derzeit im Gespräch sind, können wir erkennen, dass China praktisch den Preis festsetzen kann, zu dem es Gas von Russland bezieht. Russland braucht China mehr als umgekehrt. Der Wunsch beider Seiten nach engeren Wirtschaftsbeziehungen ist völlig nachvollziehbar: Ein großer Energie- und Rohstoffproduzent wie Russland hat natürlich Interesse, zu jenem Land und jener Region, die größter und wichtigster Abnehmer ist, enge Beziehungen zu knüpfen. Neben Russland hat China sich zuletzt auch immer stärker um die Länder der Golfregion - vor allem Saudi-Arabien und Irak - bemüht. Chinas Energiehunger wird unabhängig davon steigen, ob das Wirtschaftswachstums nun abflaut, wie wir das im Moment erleben, oder nicht. Denn die Energie-Importe sind sehr stark vom Konsum getrieben und es gibt immer noch eine sehr geringe Auto-Nutzung im Land. China wird aber auch - wie bereits gesagt - am Persischen Golf aktiver werden und die nationalen Energiekonzerne werden versuchen, die eigene Gasproduktion im Land selbst zu erhöhen.
Was bedeutet diese Veränderung in der Beziehung Chinas zu Russland für Europa und die Vereinigten Staaten?
China hat kein Interesse, den Westen vor den Kopf zu stoßen. Wir haben auch bei den Atomgesprächen mit dem Iran gesehen, dass China sehr daran interessiert ist, bei diesen Gesprächen konstruktiv mitzuwirken. Bei den Atomgesprächen geht es darum sicherzustellen, dass der Iran keine Möglichkeiten bekommt, eine Atombombe zu bauen, und es ist mein Eindruck, dass China kein Interesse daran hat, dass eine neue Atommacht die Weltbühne betritt. China will auch seine eigenen Wirtschaftsinteressen nicht gefährden, das Land hat größtes Interesse an einem Zugang zum US-Markt sowie an Zugang zu den westlichen Märkten.
Hat China, aus Ihrer Sicht, Interesse, an der Eurasischen Union Wladimir Putins mitzuwirken?
Ich glaube, dass Russland und China da ein unterschiedliches Verständnis haben. Putins Plan der Eurasischen Union sehe ich als abgeschlossenes System mit hohen Importbarrieren und restriktiveren Regularien. China bevorzugt aber ein offenes System mit leichtem Zugang zu möglichst vielen, möglichst allen Märkten. China sieht die Wirtschaftsbeziehungen mit seinen Partnern nicht als Nullsummenspiel - Putins Russland aber sehr wohl.
Es ist viel von einer Umorientierung der chinesischen Wirtschaft die Rede. Weg vom investitionsgetriebenen Wachstum der Vergangenheit hin zu einem stärker konsumgetriebenen Wachstum.
Die niedrig hängenden Früchte am Wachstumsbaum sind tatsächlich schon abgeräumt. Dazu hat sich in den vergangenen Jahren ein Schuldenberg aufgetürmt, die chinesische Regierung hat daher wenig Interesse, weiter voll am Gaspedal zu stehen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Brics-Staaten - Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika?
Es gab eine kurze Periode, in der fast alle Brics-Länder ein starkes Wirtschaftswachstum verzeichnen konnten. Die Periode des Rohstoffbooms half vor allem Brasilien, Russland und Südafrika. Die Banken in diesen Ländern hatten einigermaßen großen Spielraum in ihren Bilanzen, die Staatsfinanzen waren in Ordnung. Meine Prognose lautet, dass die Brics in den kommenden fünf bis zehn Jahren langsamer wachsen werden, als das in den vergangenen zehn Jahren der Fall war. Die Struktur dieses Wachstums wird auch anders aussehen als bisher. In China wird das Wachstum - das bei rund 6 Prozent liegen wird - stärker konsumgetrieben sein. Das bedeutet einen gewissen Rückgang der Nachfrage nach Stahl und anderen Metallen. Ich bin der Meinung, dass diese Änderung in der Wachstumsstruktur für China ganz gesund ist. Bei einem bloßen "nur weiter so" hätte dort eine Bankenkrise gedroht und das wäre eine eher beunruhigende Vorstellung.
Wie lautet Ihre Prognose für die anderen Brics-Staaten?
Indien wird wohl in den kommenden Jahren schneller wachsen als China. Dort gibt es mehr Wachstumspotenzial aufgrund von möglichen Reformen, die vorteilhaftere demografische Entwicklung in den nächsten Jahren in Indien verglichen mit jener in China ist ein weiterer Grund. Für Indien lautet unsere Prognose daher: Rund 6 bis 7 Prozent Wachstum. Brasilien ist in einer besseren Wachstumsposition als etwa Russland oder Südafrika.
Und wie sieht Ihre Prognose für Mittel- und Osteuropa aus?
Ähnlich wie bei den Brics
zeigt sich, dass man die mittel-/
osteuropäischen Länder nicht so einfach über einen Kamm scheren kann. Polen ist stärker als Tschechien oder die Slowakei von Exporten auf den Konsum-Markt in Deutschland abhängig. Wenn die chinesische oder russische Automobil-Nachfrage nachlässt, dann hat das direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft in Tschechien oder der Slowakei, weil diese beiden Länder viel stärker auf den Export-Kanal nach Deutschland und dann weiter in die Importländer fokussiert sind. Es sieht aber für mich so aus, als würden einige der Länder nach längerfristigen Wachstums-Ideen suchen. Für diese Region ist natürlich auch von entscheidender Bedeutung, wie es in den Beziehungen mit Russland weitergeht. Wir rechnen für die gesamte Region mit einem niedrigeren Wachstum als vor der Finanz-Krise. Was diesen Ländern hilft, sind das niedrige Zinsniveau und die niedrige Inflation. Aber wie gesagt, die Region ist sehr heterogen: Tschechien wird stabiles, aber niedrigeres Wachstum haben, Ungarn und Bulgarien haben einen Mix an politischen Maßnahmen, der für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nicht besonders hilfreich ist. Aber insgesamt werden diese Länder ein Wachstum verzeichnen können, das über jenem von Resteuropa liegt, und das ist doch schon einmal etwas.
Zur Person
Rachel
Ziemba
ist Direktorin der Abteilung Global Emerging Markets beim Consulting-Unternehmen Roubini Global Economics und war Gast bei der Brics-Konferenz der österreichischen Wirtschaftskammer.