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Die Briten stecken in der Brexit-Sackgasse

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Chef des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Eine schmerzlose Lösung dieses zermürbenden Problems ist nicht in Sicht. Zu beachten sind dabei auch mögliche Neuwahlen.


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Wie tief die britische Politik mit dem Brexit-Durcheinander in einer Sackgasse steckt, beschrieb unlängst der Tory-Vorsitzende Brandon Lewis: "Wir müssen alle Möglichkeiten eines Auswegs prüfen und sehen, was wir als Nächstes tun können, und etwas anderes machen." Genau das praktiziert die Regierung unter Theresa May erfolglos seit Juni 2016. Mehrmals verwarf das Unterhaus Mays Plan für einen vertraglich geregelten Brexit, und noch öfter stimmte es Mays Korrekturen an ihrem Vertragsentwurf nieder. In diesem Chaos scheint der "Mayxit" (Sturz der Regierungschefin) die erste Option zu sein. Mehrere Konservative boten sich bereits als Nachfolger an, und Labour will einen Rücktritt Mays "beschleunigen".

Aber was würde aus Lewis’ Vorschlag, "etwas anders zu machen"? Der politische Fahrplan sah den vertraglich geregelten EU-Austritt Großbritanniens für 29. März vor. Nun gewährte die EU eine Verschiebung des Brexit bis zum 31. Oktober.

Ein ungeregelter Austritt hätte ziemlich verheerende Folgen für die britische Wirtschaft. Gut die Hälfte der britischen Importe stammt aus der EU, in die rund 45 Prozent der britischen Exporte gehen. Ohne Brexit-Vertrag gingen da Zollmauern hoch, die nach Schätzungen von Experten die Briten hart mit dreistelligen Milliardenbeträgen und dem Verlust von Jobs träfen. Auch die EU käme nicht billig weg. Man könnte also noch über eine Zollunion verhandeln. Optimisten nehmen an, dass sich das endlos hinzöge und der Brexit überhaupt abgeblasen werden könnte. Dazu musste natürlich US-Präsident Donald Trump seinen Senf geben. Er bot den Briten einen umfassenden Handelsvertrag mit den USA als EU-Ersatz an.

In den Spekulationen über die nahe Zukunft Großbritannien taucht auch das Thema Neuwahlen auf, zumal Umfragen knappe Mehrheiten für einen Verbleib in der EU anzeigen. Neuwahlen könnten allerdings diese Stimmung empfindlich stören. Das liegt am britischen Wahlsystem: Die Wahl in den 650 Wahlkreisen gewinnt, wer jeweils die meisten Stimmen erhält. Alle anderen Stimmen "verfallen". Bei den Wahlen 2017 traf dies 19 Kleinparteien.

Zudem wohnen in den Wahlkreisen zwischen 21.000 und 110.000 Wahlberechtigte, das schlägt auf die Mandate im Unterhaus durch. So bekamen die Tories 2017 mit 42 Prozent der Wählerstimmen 317 Mandate, um 8 zu wenig für die Mehrheit. Labour erhielt für 40 Prozent der Stimmen nur 262 Mandate, die Liberalen kamen mit
7 Prozent lediglich auf 12 Mandate. Hingegen brachte es Labour 2005 mit 35 Prozent der Stimmen auf 55 Prozent der Mandate. 1997 reichten den Liberalen 17 Prozent der Stimmen bloß für 7 Prozent der Mandate. Das Mehrheitswahlrecht schafft klare und stabile Verhältnisse. Das Verhältniswahlrecht wie in Österreich hingegen spiegelt die Gesellschaft und gilt daher als gerecht.

Neuwahlen garantieren keinen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse. Umfragen mögen zwar die politische Stimmung insgesamt spiegeln, die "kleinen" Unwägbarkeiten in den 650 Wahlkreisen erinnern aber eher ans Aprilwetter mit plötzlichem Regen oder Sonnenschein. Ein neues Unterhaus und eine neue Regierung müssten Großbritannien erst einmal aus der Brexit-Sackgasse retten.