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Die Briten stoßen zum "Kern" vor

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Die Alternative heißt: Die rasche Verabschiedung einer europäischen Verfassung oder ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Dieser vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgegebenen Devise schließen sich nun auch die Briten an. Noch im März soll es ein Treffen von Premier Tony Blair mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Schröder geben, um den europapolitischen Kurs stärker abzustimmen.


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Wie der deutsche Vize-Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin erklärte, wollen die drei schon zu diesem Zeitpunkt Vorschläge vorlegen, wie der Verfassungsprozess fortgesetzt werden kann. Ziel sei es, Ende dieses Jahres eine europäische Verfassung zu haben.

Verfassung oder Kerneuropa

Schröder hatte schon zuvor in einem "Spiegel"-Interview bekräftigt, spätestens Ende 2004 müsse es eine Einigung auf Grundlage des vorliegenden Verfassungsentwurfs geben. Andernfalls werde es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben. "Ich wünsche mir das nicht, aber ich habe mich darauf einzustellen, dass die Entwicklung in diese Richtung laufen könnte", so der deutsche Kanzler. Zwar seien noch Nachjustierungen in einzelnen Punkten möglich, meinte Schröder, "Konzessionen bei der Stimmgewichtung im Rat kommen aber nicht in Frage", blieb er im entscheidenden Punkt hart. Gerade wegen der Stimmverteilung war der EU-Verfassungsgipfel im Dezember am Widerstand Polens und Spaniens gescheitert. Jacques Chirac hatte schon unmittelbar danach die Idee eines "Kerneuropa", das außerhalb der Verträge stärker kooperieren soll, ins Spiel gebracht.

Eine solche "Pioniergruppe", die nach Chiracs Vorstellungen auch die Benelux-Staaten und Italien umfassen sollte, findet aber nicht einmal bei den Betroffenen Anklang. Lediglich Belgiens Premier Guy Verhofstadt konnte sich damit anfreunden. Auch mit dem derzeitigen EU-Ratspräsidenten, dem irischen Premier Bertie Ahern, stoßen Chirac und Schröder auf einen vehementen Gegner der "zwei Geschwindigkeiten". Ein solches Europa, bei dem eine Gruppe vorprescht und die andere zurück bleibt, würde "viel Spaltung und viel Schwierigkeiten hervorrufen, und hoffentlich wird das nie passieren", meinte Ahern.

Er erörterte seine Sorgen gestern auch bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der eher die "Vorhut"-Variante favorisiert. Nach diesem Gespräch bricht der Ire zu einer Zwei-Wochen-Tour durch die europäischen Hauptstädte auf. Möglicherweise könnten ihm dabei auch Griechen und Ungarn ihr Interesse an einem Kerneuropa signalisieren.

Ahern verwies auch auf die Möglichkeit, bereits im Rahmen der bestehenden Verträge die so genannte "verstärkte Zusammenarbeit" zu praktizieren, wie es beispielsweise schon beim Euro der Fall sei. Dazu müssen freilich mindestens acht EU-Länder an einer solchen Initiative teilnehmen, eine qualifizierte Mehrheit muss zustimmen.

Verteidigungskooperation

Fragen mit militärischen und verteidigungspolitischen Zügen sind aus einer solchen Kooperation allerdings ausgeklammert. Gerade auf diese zielt aber die Teilnahme von Blair an den Dreier-Gesprächen ab. Viele Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien nach dem Gipfel-Scheitern noch offen, erläuterte Regierungssprecher Steg.

Das Interesse der Briten an verstärkter militärischer Kooperation, bereits im Herbst 2003 verkündet, würde jedenfalls erklären, dass jetzt auch der Integrationsgegner Blair auf eine EU-Verfassung drängt - im Verfassungsentwurf erstreckt sich die Zusammenarbeit eines Staatenkerns sehr wohl auch auf die Verteidigungspolitik.