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Die Brücke ins Armenhaus

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Die unverwechselbare Silhouette der Hansestadt Stralsund gehört zum Weltkulturerbe. Seit Montag hat sie ein neues Wahrzeichen: Das 128 | Meter hohe "neue Tor nach Rügen".


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In der frühen Neuzeit eine der reichsten und mächtigsten Hansestädte, liegt Stralsund heute im Armenhaus Deutschlands, der mecklenburg-vorpommerschen Ostseeküste. Dort, wo die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch ist wie im Westen; dort, wo die Kaufkraft um ein Drittel niedriger ist als im Bundesdurchschnitt.

Viele Zukunftsperspektiven hat der agrarisch strukturierte Landstrich nicht, aber noch weniger Gegenwart. Es herrscht das Prinzip Hoffnung. Wie in anderen Regionen auch setzt man hier auf die Ansiedlung von Biotechnologie und Medizintechnik, die Lebensmittelindustrie und die Windenergie.

Hauptaugenmerk gilt aber zu Recht dem Tourismus. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland Deutschlands, das im Fremdenverkehr in den letzten Jahren zweistellige Wachstumsraten verbuchen konnte. Mit Riesenschritten holt die Ostseeküste gegenüber der Nordseeküste auf. Mittlerweile zählt man jährlich mehr als 22 Millionen Touristen-Übernachtungen.

Dem Ausbau der Infrastruktur wird Vorrang eingeräumt. Die neue Ostsee-Autobahn verbindet das Land mit den großen Wirtschaftszentren. Nur, wer auf die Insel Rügen wollte, die größte Insel Deutschlands und seit der Wende beliebtes Ferienziel, der musste sich bis jetzt auf stundenlange Staus einstellen, um dann entweder mit einer Fähre überzusetzen, oder auf der 70 Jahre alten Klappbrücke in einer Blechschlange zu hängen. Wer bis dahin noch nicht urlaubsreif war, war es spätestens nach der Anreise.

Ein technisches und architektonisches Meisterwerk macht seit diesem Montag Schluss mit der Misere. Nach nur drei Jahren Bauzeit wurde eine neue, vier Kilometer lange und dreispurige "2. Strelasundquerung", auch Rügenbrücke genannt, für den Verkehr freigegeben. Drei Tage lang feierten die Rüganer und die Hansestadt Stralsund gemeinsam mit 330.000 Gästen die Eröffnung der längsten Brücke Deutschlands.

Das beeindruckende Bauwerk gliedert sich in mehrere Abschnitte, die durch gleichartige Entwurfselemente zu einer gestalterischen Einheit verknüpft sind. Den südlichen Auftakt macht eine Vorlandbrücke, die auf Y-förmigen Pfeilern durch dicht bebautes Gebiet führt.

Den markantesten Abschnitt bildet die 600 m lange Hochbrücke über den so genannten Ziegelgraben, eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die das Meer mit einer Durchfahrtshöhe von 42 Metern und einer Stützweite von 198 Metern überspannt.

Die Schrägseilbrücke wird getragen von einem 128 Meter hohen Pylon aus zwei tropfenförmigen Pfeilern, die auf einem Betonsockel ruhen. Nördlich davon schließen sich zwei Vorlandbrücken auf der Insel Dänholm an, denen dann die eigentliche Strelasundbrücke folgt: Sie führt in acht Metern Höhe über den Hauptarm der Meerenge. Ein 450 Meter langes Dammbauwerk leitet den Verkehr anschließend auf die Ferieninsel Rügen.

Wer sich´s vorstellen kann: 71.200 Kubikmeter Beton, 7600 Tonnen Betonstahl, 7400 Tonnen Baustahl und 7100 Tonnen Spundwandstahl verbaut; je 33.000 Quadratmeter Abdichtung und Gussasphalt verlegt und 350.000 Kubikmeter Erdreich bewegt.

Trotz ihrer Wuchtigkeit und ihrer gigantischen Ausmaße gelang den Planern mit dieser Brücke ein elegantes schlankes Bauwerk, das sich landschaftsschonend und stadtbildverträglich in die Umgebung einfügt. Ihr Stahlgewicht entspricht etwa dem der Titanic, obwohl ihre Verkehrsfläche fünf Fußballstadien füllen würde.

Zu hoffen bleibt jetzt nur, dass der Massenansturm das Naturwunder Rügen nicht zerstört, mit seinen bizarren Kreidefelsen, den Alleen, den Vogelfelsen und mit seinen malerischen Fischerdörfern.