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Die Budget-Inquisition

Von Reinhard Göweil

Politik

Schlichte politische Forderungen widersprechen der komplexen Materie.


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Wien. "Die Wirtschaftsforscher haben keine Zahlen und sollten sich auf die Wachstumsprognosen konzentrieren, die zuerst bei 1,7 Prozent lagen und nun bei 1,4 Prozent sind." Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger lässt sich bei der von ihm jüngst festgestellten Budgetabweichung von "mehreren hundert Millionen Euro" nicht beirren. In den ersten fünf Monaten allerdings ist dies beim "Budget-Erfolg" nicht abzulesen. Die Brutto-Steuereinnahmen stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent auf 30,73 Milliarden Euro, dieser Anstieg war deutlich stärker als das Wirtschaftswachstum. Die Hälfte des Zuwachses kam von der Lohnsteuer. Die Ausgaben blieben dagegen insgesamt weitgehend gleich.

Ein Problem orten Spindelegger und die ÖVP bei den Pensionszahlungen. Die sind im Moment allerdings bei Beamtenpensionen festzustellen, die bisher um 4,1 Prozent in die Höhe kletterten. Wirtschaftsforscher sehen allerdings in solchen unterjährigen Betrachtungen ein gewisses Problem. Natürlich sei nicht jeder Monat exakt im Plan, dazu sei die wirtschaftliche Entwicklung zu dynamisch, so deren Einschätzung - auch wenn sie sich nach der Schelte Spindeleggers nicht namentlich zitieren lassen wollen. Üblicherweise seien die Budget-Voranschläge sehr vorsichtig kalkuliert, die Abschlüsse der vergangenen Jahre waren jeweils besser als vorgesehen.

Damoklesschwert Volksbank

Der am Donnerstagabend für heuer angekündigte respektable Verlust der Erste-Bank-Gruppe in Höhe von bis zu 1,6 Milliarden Euro weist allerdings den Weg zum wirklichen Budgetrisiko: den Banken. Der laufende Banken-Stresstest der Vermögens- und Kapitalqualität durch die Europäische Zentralbank zwingt viele Institute, ihre Bilanz zu durchforsten. Die Erste etwa musste in Rumänien und Ungarn noch einmal tief hineinschneiden. Und ihr Vorstandsvorsitzender Andreas Treichl weist zu Recht darauf hin, dass sich die Bank dies auch leisten könne - und mit den Abschreibungen aus Osteuropa das Risiko herausnehme. Die Dividende dürfte ausfallen, das entspricht der EU-weiten Überlegung, die privaten Kapitalgeber das Risiko tragen zu lassen - und nicht länger die Steuerzahler. Die Unicredit und ihre wesentliche Tochter, die Bank Austria, zogen in der Bilanz 2013 die Reißleine - und sorgten mit Abschreibungen in Höhe von 14 Milliarden Euro für einen Knalleffekt. Aber auch die Unicredit konnte dies aus eigener Kraft stemmen - ohne die italienischen oder die österreichischen Steuerzahler damit zu belasten.

Bei anderen Instituten ist dies alles andere als sicher. Bei den Volksbanken etwa deutet sich ein erheblicher Kapitalbedarf an, der von den Sektorbanken nicht aufgebracht werden kann. Brüssel weist Österreichs Regierung seit längerem auf die Gefahr hin, doch dies war bisher nicht Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Es ist allerdings leicht möglich, dass die vom Finanzminister genannten "mehreren hundert Millionen Euro" kurzfristig von eben diesem Minister aufzubringen sind - um die Volksbanken zu retten. Und ob die Kommunalkredit, wie die Hypo Alpe Adria vollverstaatlicht, ganz ohne Zuschuss auskommen wird, wird in Aufsichtskreisen stark bezweifelt.

Verwirrte Bevölkerung

Genau das ist das Problem des Finanzministers und der Regierung. In der Bevölkerung wird nicht zwischen Maastricht-Defizit, strukturellem Defizit und Finanzmarktstabilitätsgesetz unterschieden - die Opposition tut es auch nicht, wenngleich aus taktischen Gründen.

Es dräut also ab Herbst eine Situation herauf, in der die Regierung auf hartem Sparkurs der öffentlichen Hand besteht, aber ohne Federlesens "hunderte Millionen Euro" in die Banken stecken muss. In ÖVP-Parlamentskreisen wird daher das forsche Auftreten des Parteiobmanns zum jetzigen Zeitpunkt durchaus zwiespältig betrachtet. "Die Leute würden es nicht verstehen, wenn wir jetzt einen strikten Budgetkurs verträten und kurz darauf manchen Banken dann wieder Geld geben müssten", ist aus dem Wirtschaftsbund zu hören.

Auch in der SPÖ wird das Vorgehen Spindeleggers mit Stirnrunzeln betrachtet. Zwar hat Kanzler Werner Faymann in der Partei die Losung ausgegeben, alle Kritik am Koalitionspartner zu unterlassen, doch in der Gewerkschaft brodelt es. Spindelegger zweifelte öffentlich die Darstellung von Sozialminister Rudolf Hundstorfer an, wonach sich das tatsächliche Pensionsalter bereits um acht Monate erhöht habe.

"Im Sozialbereich sparen, aber den Banken Geld zu geben, und das alles mit einem sozialdemokratischen Kanzler, das würde bei uns niemand verstehen", ist von einem hochrangigen Funktionär der FSG (Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter) zu hören. Umso mehr, als der ÖGB fraktionsübergreifend die Kampagne "Lohnsteuer runter" gestartet hat. 500.000 Unterschriften erwartet ÖGB-Präsident Erich Foglar - und wer dessen Vorsicht beim Nennen von Zahlen kennt, weiß, dass dies wohl erreicht werden wird.

Eine Steuerreform mit einem Volumen von vier Milliarden Euro, ein restriktiver Budget-Kurs und drohende weitere Bankenhilfe des Staates - das ist nicht einfach zu verstehen, für viele Bürger ist es wohl gar nicht zu verstehen. Sind wir nun reich oder fast pleite? Diese Frage wird derzeit bei Grillpartys, Familienfesten, im Wirtshaus und beim Heurigen oft gestellt.

Schäubles ruhige Hand

Das Problem liegt in der - gemäß europäischen Bestimmungen - unterschiedlichen Berechnung, was Schulden sind und was ein Defizit ist. Die Republik Österreich hat 294 Milliarden Euro Schulden, gemäß Maastricht-Kriterien sind es dagegen 228 Milliarden. Das tatsächliche Defizit heuer wird bei 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, das (für die EU-Berechnung wesentlichere) strukturelle Defizit hingegen bei 0,9 Prozent. Warum? Weil beim strukturellen Defizit Ausgaben zur Ankurbelung der Konjunktur nicht angerechnet werden. Und auch weil manche einmalige Bankenhilfe von der EU-Kommission nicht dem Defizit zugerechnet wird.

Daraus ergibt sich die kuriose Situation, dass der österreichische Finanzminister beim Budget vom Maastricht-Defizit spricht, für die EU aber konjunkturelle Maßnahmen (wenn das Wachstum nachlässt) gar nicht berücksichtigt. Die für heuer den EU-Partnern versprochenen 0,9 Prozent strukturelles Defizit dürften also halten, selbst wenn es Konjunkturmaßnahmen oder Bankenhilfen geben sollte.

Zu einem schönen Teil lebt die Republik - so wie auch alle anderen EU-Länder - dabei von der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Zu den großen Reserven für das Budget zählt der jährlich viel zu hoch eingestellte Betrag für den Zinsendienst der öffentlichen Schulden. Zuletzt war dafür eine Milliarde mehr im Budgetvoranschlag, als dann tatsächlich zu zahlen war.

Irgendwann werden die Zinsen wieder steigen, doch dazu muss erst das Wachstum in Europa wieder anspringen. Ob ständig neu geschürte Budgetängste dazu angetan sind, wird von Wirtschaftspsychologen bezweifelt. Unsicherheit führt zu verstärktem Sparverhalten der Bevölkerung, der private Konsum schrumpft. Und ob das Ersparte dann später tatsächlich wachstumsfreundlich investiert wird, steht in den Sternen.

Daher wird wohl die Budgetfrage in Deutschland von der Politik besonders behutsam diskutiert. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst für das Jahr 2015 ein ausgeglichenes Budget vorgelegt - mit allerlei Tricks. Niemand regte sich groß auf im Nachbarland. Mit dem Vorteil, dass der private Konsum als Wachstumsmotor in Deutschland - im Vergleich zur Exportwirtschaft - aufholt. Österreich hängt nach wie vor stark an den Exporterlösen und dem Tourismus. Die Nettoeinkommen sinken dagegen seit Jahren trotz stetiger Budgetwarnungen . . .