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Nichts wird geklärt sein, keine Schicksalsfrage beantwortet und kein Problem gelöst, wenn feststeht, ob die Briten sich schließlich für oder gegen ihre EU-Mitgliedschaft entschieden haben. Egal, welche Seite als Verlierer dasteht, sie wird sich betrogen fühlen und die politische Legitimität des Abstimmungsergebnisses offen und unverblümt anzweifeln.
Dabei ist die Idee, über Fragen, die ein Land über Jahrzehnte hinweg umtreiben, die Bürger entscheiden zu lassen, bestechend einleuchtend. Sie nennt sich Demokratie, und die Methode stellt zwar zugegeben vielleicht die schlechteste aller Entscheidungsmöglichkeiten dar, bloß ist bis heute noch keinem eine bessere eingefallen.
Irgendwann während der vergangenen 10, 15 Jahre haben wir es als Bürger verlernt, miteinander auf vernünftige Art und Weise über umstrittene Fragen zu streiten. Und zwar so, dass jede Seite ihre Argumente vorbringt und diese öffentlich gewogen und schließlich für zu leicht oder eben doch für stichhaltig befunden werden.
Doch mittlerweile wird nur noch gestritten, eine produktive Auseinandersetzung mit der Chance auf Erkenntnisgewinn findet schon längst nicht mehr statt. Es geht für alle Beteiligten allein noch darum, die Oberhand zu behalten. Und zwar fast egal wie. Längst nicht nur in Großbritannien, sondern quer durch die vorgeblichen Bollwerke des aufgeklärten Abendlandes.
Dass die Politik auf diese schiefe Ebene gerät, ist ja irgendwie noch nachvollziehbar (obwohl diese Einschätzung bereits einem Offenbarungseid gleichkommt). Unverzeihlich nach allen Spielregeln der liberalen Demokratie dagegen ist, dass die Medien an vorderster Front - und um eine solche handelt es sich tatsächlich - mit dabei sind. Wiederum nicht nur in Großbritannien, aber hier doch ganz besonders.
Es ist nun einmal so: Wenn Parteien und Medien nicht wollen (oder können?), dann hat unser Konzept von Demokratie ein Problem, ein grundsätzliches noch dazu. Die Bürger stehen dann nämlich ziemlich allein gelassen und verloren da in ihrer Rolle als angeblicher Souverän.
Drei Auswege aus diesem Dilemma bieten sich an: Erstens, die Parteien kommen überein, die Bürger tunlichst aus der Politik draußen zu lassen; zweitens, die Bürger entschließen sich dazu, diesen Parteien das Vertrauen zu entziehen; oder drittens, wir lernen wieder, miteinander zu streiten - besser heute als morgen.