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Caritas fühlt sich von großer Koalition besser verstanden als von Schwarz-Blau. | Prinzip "Gier frisst Hirn" hatte an den Finanzmärkten die Oberhand gewonnen. | Bekämpfen der Armut kommt der Wirtschaft zugute. | "Wiener Zeitung": Die Caritas finanziert sich zu einem nicht kleinen Teil über Spenden. Schlägt sich die herannahende Rezession bereits in einem Rückgang des Spendenaufkommens nieder?
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Franz Küberl: Die Caritas finanziert rund 10 Prozent ihrer Aktivitäten über Spenden. Im Inland sind das vor allem Aktivitäten, die der unmittelbaren Armutsbekämpfung dienen. Natürlich spüren wir da die herannahende Rezession, weil die Leute in den letzten Monaten die tatsächliche oder gefühlte Teuerung schon verspürt haben.
Da würde ich vermuten, das würden Sie stärker auf der Nachfrageseite als auf der Spendenseite spüren?
Die Leute spüren Teuerung und sind dann sparsamer beim Ausgeben und überlegen sich zweimal, was sie ausgeben. Das betrifft natürlich auch Spenden. Die derzeitige Finanzkrise ist eine tiefe Vertrauenskrise. Zum einen fließen für die Caritas die Spenden karger, zum anderen werden aber die Aufwendungen der Caritas gerade im sozialhilflichen Bereich stärker werden, weil wir dort mehr Geld und andere Ressourcen brauchen, um Menschen zur Seite zu stehen. Ich habe schon vor zwei Monaten deutlich auf diese Problematik aufmerksam gemacht, um beizutragen, dass die Spenden-Handbremse gelockert wird.
Die Regierung hat sich Ihren Appell offensichtlich zu Herzen genommen und beschlossen, Spenden ab 1. Jänner steuerlich absetzbar zu machen. Ein für die Caritas wohl sehr erfreuliches Weihnachtsgeschenk?
Das ist ein großer Schritt. Die Spendenabsetzbarkeit bedeutet Rückenwind für Menschen, die aus Solidaritätsgründen etwas zur Verfügung stellen. Darüber hinaus ist es auch ein großer Schritt im Verhältnis von NGOs und Regierung.
Weit weniger erfreut über den Beschluss der Regierung sind Umwelt- und Tierschutzorganisationen, denen die Absetzbarkeit nicht zuteil wird und die damit vermutlich vom Spendenfluss weitgehend abgeschnitten werden.
Auch wir hätten eine breitere Einbeziehung von NGOs begrüßt. Ich hoffe, dass das nach der Evaluierung in zwei Jahren möglich wird.
Werden sich die Aufgabenschwerpunkte der Caritas in der bevorstehenden Wirtschaftskrise verändern?
In einer Krise erwischt es die Ärmeren und diejenigen, die sich in fragileren Lebenssituationen befinden, immer zuerst und stärker. Wenn sich die Vorboten einer Krise zeigen, schauen Unternehmen noch genauer, wen sie einstellen, wen sie noch behalten. Und da wird gerade Menschen in schwierigen Lebenssituationen der Arbeitshahn abgedreht oder zurückgedreht. Was wir derzeit sehen, sind keine Vorboten mehr: Mittlerweile verlieren tausende Menschen vorübergehend oder gänzlich ihre Arbeit.
Die Beschäftigung ist vorerst aber immer noch höher als vor zwei Jahren.
Gott sei Dank sind wir ein sehr reiches Land, das in der Vergangenheit eine sehr erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung genommen hat. Aber die Beschäftigungsstatistik sagt nicht alles über die Realität der Menschen aus. Gott sei Dank haben viele Menschen Jobs und Einkommen, von denen sie gut leben können. Aber es gibt auch einige hunderttausend Menschen, die in sehr diffizilen Situationen leben, die Working Poor.
Wäre es nicht eigentlich in erster Linie Aufgabe der Gewerkschaften und nicht der Caritas, sich um die Arbeitssituationen dieser Menschen zu kümmern?
Ohne Zweifel ist das die Aufgabe der Gewerkschaften - und der Unternehmen. Das sind die ersten Ansprechpartner, die unmittelbar mithelfen können, dass die Lebenssituationen der Betroffenen nicht schlechter werden. Die Caritas ist keine Gewerkschaft und will sich nicht in fremde Gefilde einschleichen. Dort, wo es um die Rahmenbedingung von Beschäftigung geht, ist das Aufgabe der Gewerkschaften . . .
. . . weil die Caritas vor allem die vertritt, die keine andere Lobby mehr haben?
Es gibt die Sorge um jene Menschen, die von den Arbeitgebern und Gewerkschaften aufgegeben worden sind.
Nach traditionellem österreichischen Sozialstaatsverständnis wäre es Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass alle Menschen ein würdiges Auskommen haben. Die Tätigkeiten der Caritas sind also eigentlich nur so zu verstehen, dass der Staat seine Aufgabe diesbezüglich nicht ausreichend erfüllt?
Das ist grundsätzlich richtig. Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen in Zusammenhang mit Armut und Armutsgefährdung, mit Obdachlosigkeit, mit Arbeitslosigkeit, wo das Versagen des Sozialstaates sehr deutlich zu Tage tritt. Als Caritas können wir Überbrückungshilfen leisten, in schwierigen Lebenssituationen beitragen, dass Menschen wieder atmen können. Wir können aber Menschen nicht monate- oder jahrelang in ihrer Existenz erhalten. Das ist undenkbar, das würde die Caritas überfordern, das ist Aufgabe des Staates.
Kann Armut in einem reichen Land wie Österreich gänzlich abgeschafft werden, wenn die Politik ihre Funktion entsprechend wahrnimmt?
Armut ganz abzuschaffen wird nicht möglich sein. Aber das Abrutschen in die Armut kann gebremst oder hinausgezögert werden, und der Verbleib in der Armut kann sehr kurz gehalten werden.
Die Caritas macht immer wieder auf Probleme und Lücken im Sozialstaat aufmerksam. Nimmt die große Koalition diese Hinweise ernster, als es die schwarz-blaue Koalition getan hat?
Die Caritas war und ist mit jeder Regierung um eine gute Gesprächsbasis bemüht. Das hat für Schwarz-Blau gegolten und gilt jetzt für Rot-Schwarz. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Qualität der Gesprächsbasis zu Ministern nicht primär eine Frage der Parteizugehörigkeit der Minister ist, sondern eher eine Frage der Kompetenz konkreter Personen - ob man miteinander reden kann, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist.
Richtig ist allerdings, dass die Caritas in zwei Themen das Gefühl hat, in jüngerer Zeit besser verstanden worden zu sein. Das gilt zum einen für die bedarfsorientierte Mindestsicherung, weil diese eine moderne Sozialgesetzgebung des 21. Jahrhunderts wäre, die insuffizient gewordene sozialhilfliche Strukturen aus den 20. Jahrhundert ablösen soll.
Anders ausgedrückt: Die Umsetzung des Prinzips Anspruch statt Gnade?
Rechtsanspruch statt Gnade wäre die knappe Formulierung. Und zwar mit vergleichbaren Leistungen vom Bodensee bis zum Neusiedler See. Das zweite Thema ist die Pflege, wo wir lange darauf verwiesen haben, dass es wohl einer gemeinsamen öffentlichen Finanzierung bedarf. Der Pflegefonds, der jetzt im Regierungsprogramm steht, wäre ein beträchtlicher Fortschritt.
Was empfindet der Caritas-Präsident, wenn er über die Milliardenbeträge des österreichischen Bankenhilfspakets liest?
Es ist schon in Ordnung, wenn man einen Schirm spannt. Es ist allerdings auch erstaunlich, wie viel Geld dafür nötig ist. Aber die Absicherung von Spareinlagen ist natürlich wichtig. Die Caritas kann kein Interesse haben, dass noch mehr Menschen in Schwierigkeiten geraten, weil sie ihr Erspartes verlieren.
Aber natürlich muss man fairerweise sagen: Wenn so viel Geld für die Absicherung von Banken vorhanden ist, dann ist es nur recht und billig, wenn auch das notwendige Geld für die Absicherung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen bereitgestellt wird. Und ich würde wirtschaftlich argumentieren, dass jeder Cent, der in die Armutsbekämpfung fließt, eins zu eins der Wirtschaft zugute kommt.
Weil Einkommenszuwächse am untersten Ende der Einkommenspyramide unmittelbar in den Konsum gehen und daher auch den unmittelbarsten Effekt haben?
Dort ist der unmittelbarste Effekt zu spüren. So können etwa die 13. Kinderbeihilfe und einige der Familienleistungen, die im neuen Koalitionsübereinkommen enthalten sind, mithelfen, dass Menschen, die in schwierigen Situationen sind und die Kinder haben, eher in der Lage sind, manche Dinge abzufedern.
Angesichts der Ereignisse an den Finanzmärkten und der befürchteten Wirtschaftskrise gewinnt die Forderung, die Marktwirtschaft beziehungsweise den Kapitalismus stärker an die Kandare zu nehmen, an Zulauf. Unterstützen Sie solche Vorstöße?
Ich würde zwischen amerikanischem Kapitalismus und sozialer Marktwirtschaft österreichischer Prägung einen Unterschied machen. Eine Erkenntnis dieser entsetzlichen Krise ist, dass man Mehrwert nur durch reale Arbeit schaffen kann. Was in den vergangenen Jahren versucht worden ist, erinnert an Versuche zu Beginn der Neuzeit, aus Blei Gold zu machen. Jetzt wurde versucht, virtuelles Geld zu erfinden. Da hat fallweise das Prinzip "Gier frisst Hirn" die Oberhand gewonnen. Nun zeigt sich, dass echte Wertsteigerungen nur dann möglich sind, wenn sich Leute in konkreter Arbeit dahinter klemmen und etwas entwickeln und weitertreiben.
Als Inbegriff der nun von vielen kritisierten Finanzmarktentwicklungen gelten Hedgefonds und Private-Equity-Fonds. Was halten Sie von solchen Finanzvehikeln?
Ich halte das für glatte Verirrungen. Man wird das später einmal ähnlich einstufen wie die berühmte Tulpen-Manie 1654 in Amsterdam.
Trotzdem schließt die Caritas Partnerschaften mit Töchtern solcher Fonds?
Auf wen spielen Sie an?
Ich habe da ein Spendenformular mit Erlagschein, auf dem vermerkt ist: "Partner der Caritas: Bawag PSK." Die Bawag ist eine Tochter des US-Fonds Cerberus.
Die PSK und nun auch die Bawag unterstützen uns im Zahlungsverkehr und sind über viele Jahrzehnte unsere Partner, die sich uns gegenüber nicht wie Hedgefonds verhalten. Deswegen ist das für uns in Ordnung.
Wenn jemand zu Weihnachten das Bedürfnis verspürt, zehn, 20 oder auch 100 Euro für einen guten Zweck zu spenden, welchem konkreten Projekt oder welcher Organisation sollte er das Geld zukommen lassen?
Wichtig ist, dass man es einer Organisation gibt, zu der man Vertrauen hat. Und ich hoffe, dass die Caritas unter diesen ist. Wir haben eine ganze Reihe von Projekten, die das Geld dringend brauchen können: etwa die "Gruft" in Wien, das "Marienstüberl" in Graz, die acht Mutter-Kind-Häuser und unsere 18 Obdachloseneinrichtungen.
Zur PersonFranz Küberl wurde am 22. April 1953 in Graz geboren. Nach Besuch von Volks-, Haupt- und Handelsschule war er vorerst in der Verwaltung des Landeskrankenhauses Graz beschäftigt und wechselte 1972 als Diözesansekretär zur Katholischen Arbeiterjugend Steiermark.
1976 übernahm er die Leitung des Bundessekretariats der Katholischen Jugend Österreichs und war zudem ab 1978 Vorsitzender des österreichischen Bundesjugendrings. 1982 wurde er Referent im Katholischen Bildungswerk in Graz, 1986 wurde Küberl zum Generalsekretär der Katholischen Aktion Steiermark berufen. Seit 1994 fungiert er als Direktor der steirischen Caritas. Im Oktober 1995 wurde der zweifache Vater als erster Laie zum Direktor der Caritas Österreich gewählt.
Caritas-Spendenkonto: PSK 7.700.004 Bankleitzahl 60.000 Kennwort: Inlandshilfe