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Wenn Spitzenpolitiker durch die Drehtüre in die Wirtschaft entschwinden, nehmen Anstand, politische Hygiene und Transparenz Schaden.
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Die Causa Ronald Pofalla heizt in Deutschland die Debatte darüber an, wie viel Anstandspause ein Spitzenpolitiker vor dem Übertritt in die Wirtschaft einhalten müsse. CDU-Politiker Pofalla trat vor einem Monat als Kanzleramtschef, Bundesminister für besondere Aufgaben und Regierungsbeauftragter für die Nachrichtendienste zurück und soll nun in den Vorstand der Deutschen Bahn wechseln. Angela Merkels engster und bestinformierter Berater schweigt dazu beharrlich, während die Debatte zwischen Empörung, Häme und Verständnis wogt.
Natürlich angelt die Wirtschaft Spitzenpolitiker wegen ihres Insiderwissens und ihrer Kontakte. Deshalb gilt für EU-Kommissare eine 18-monatige Anstandspause vor dem Übertritt in die Wirtschaft. Die deutsche Opposition fordert drei Jahre, die Union kneift nicht und will darüber verhandeln. Pofallas Freunde sehen aber keinen Handlungsbedarf, weil ihr Mann doch von einem Staatsamt in einen Staatsbetrieb und nicht in die Privatwirtschaft wechsle. Welche Vorteile die Bundesbahn aus Pofallas Kenntnissen auch zöge - seine Fähigkeiten als Spitzenmanager wiegen sicher schwerer. Allerdings bekäme er bei der Bahn ein rund sechsmal höheres Gehalt als im Kanzleramt.
Deshalb hängt ihm auch die Causa Gerhard Schröder nach. Der Kanzler wechselte nach der Wahlniederlage 2005 in die hochdotierte Führung ausgerechnet jener Tochter des staatlichen russischen Energieriesen Gazprom, die eine Gasleitung durch die Ostsee baute. Schröder hatte das Projekt mit Nachdruck gefördert. Den Karrieresprung erleichterte ihm sein Duzfreund Wladimir Putin, den Schröder als "lupenreinen Demokraten" gelobt hatte.
Pofalla sagte damals: "Die Menschen müssen den Eindruck haben, dass es Schröder nicht um Gas geht, sondern ausschließlich um Kohle." Es brauche klare Verhaltensregeln, um Ähnliches in Zukunft zu verhindern.
Einige Beispiele: Martin Bangemann (FDP) betrieb von 1989 bis 1999 als EU-Kommissar für Telekommunikation und Informationstechnik die Zerschlagung staatlicher Telefonmonopole und landete nach seiner Amtszeit in der Führung des spanischen Konzerns Telefónica.
Der für Verbrauchschutz, Ernährung und Landwirtschaft zuständige Staatssekretär Matthias Berninger (Grüne) wechselte 2007 als Lobbyist zum Lebensmittelkonzern Mars.
Wolfgang Clement (SPD), Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energiepolitik, stieg 2005 in den Energiekonzern RWE um, der auch Steinkohle verarbeitet.
Schröders Wirtschaftsminister Werner Müller verhandelte mit der Industrie den Atomausstieg, erlaubte entgegen dem Verbot des Kartellamts die Übernahme der Ruhrgas durch den Energie- und Atomkraftriesen E.on und wechselte 2003 in den Vorstand der Ruhrkohle AG.
Gehen Spitzenpolitiker durch die Drehtür in die Wirtschaft, wuchert der Verdacht auf Gegengeschäfte im Amt und als Dank dafür eine lukrative Karriere hinterher. Der Politologe Hans Herbert von Arnim nennt den Fall Pofalla "eine Form bezahlter Korruption" und fordert eine Übergangsfrist von fünf Jahren. Überzogen oder nicht: Demokratie braucht Anstand, Hygiene und Transparenz.