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Auch wenn die Sache noch weitgehend ungeklärt ist, steht eines fest: Die CDU-Spendenaffäre ist der Skandal der Skandale, zumindest in der Wahrnehmung der Menschen. "Das Meinungsbild in den
Wählerumfragen hat sich in einer Größenordnung verändert, wie wir sie vorher noch nie gemessen haben", sagt der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Dieter Roth. Er und seine Kollegen halten das
Stimmungsloch, in das die CDU gestürzt ist, für so tief, dass die Partei da so bald nicht wieder herauskommen wird. Die Frage ist: Kommt sie daraus überhaupt jemals heraus?
Roth zufolge steckt die CDU noch nicht im tiefsten Stimmungsloch ihrer Geschichte. Vor der Bundestagswahl 1998 sei sie in der Wählergunst schlechter dagestanden als jetzt, sagt er. Damals allerdings
hätten sich die Umfragewerte langsam und stetig verschlechtert, während sie jetzt so schnell wie noch nie gefallen seien.
Erwartungsgemäß profitiert davon am meisten die SPD. Im Herbst steckte sie angesichts der vielgerügten Regierungsarbeit von Rot-Grün noch im Umfragetief. Inzwischen hat die CDU-Affäre sie von 32 bis
34 auf deutlich über 40 Prozent der Stimmen emporgehoben, wie der Wahlforscher Dieter Walz vom Meinungsforschungsinstitut Emnid sagt. Auch die FDP hat vom Einbruch der Union profitiert. Sie
verbesserte sich um 2 bis 3 Prozent auf jetzt deutlich mehr als 5 Prozent. Das Forsa-Institut sieht die Liberalen in seiner aktuellsten Umfrage sogar bei 9 Prozent.
Für Walz ist der Trend logisch: Unter dem Eindruck der CDU-Affäre wende sich ein Teil der Nichtwähler der SPD zu und ein Teil der traditionellen CDU-Anhänger der anderen Partei im bürgerlichen Lager,
der FDP, erklärt er. Roth dagegen weist darauf hin, dass nach Erkenntnissen seines Instituts der weitaus größte Teil der enttäuschten Bürger in das Lager der Nichtwähler gewechselt ist. Deren Zahl
sei seit November von 20 auf 30 Prozent gestiegen. Daraus ergebe sich rechnerisch eine Neugewichtung der Stimmen der übrigen Parteien, und diese schlage sich nicht nur in einem Zuwachs für die FDP,
sondern generell für die kleinen Parteien nieder.
Beide sind sich zusammen mit anderen Parteienforschern aber einig, dass die CDU-Affäre, wenn sie denn einmal aufgeklärt ist, nicht so bald vergessen sein wird. Der Chef des Forsa-Instituts, Manfred
Güllner, hält es sogar durchaus für möglich, dass sich die Krise der CDU weiter verschärft und dadurch das ganze Parteiengefüge ins Rutschen kommt. Und das könnte seiner Einschätzung nach zur Chance
für die extreme Rechte werden. "Latent ist das Potenzial da", sagt er. "Das Einzige, was fehlt, um die Rechtsextremisten zu formieren, ist ein deutscher Haider. Wenn es dann auch noch Leute gäbe, die
eine solche Bewegung finanzierten, ist es nicht auszuschließen, dass die dann auch Stimmen bekommen."
Der Kölner Parteienforscher Erwin Scheuch allerdings teilt die Meinung nicht. Er hält dagegen, dass Kanzler Gerhard Schröder mit einer Orientierung zur bürgerlichen Mitte einen Teil des konservativen
Wählerpotenzials eingebunden habe. Für sehr spekulativ, letztlich aber wahrscheinlicher als einen Rechtsruck wie in Österreich hält er die Entwicklung der SPD zu einer stabilen Mehrheitspartei. Roth
hingegen erwartet von der CDU-Affäre letztlich keine gravierenden Auswirkungen auf das Wahlerverhalt. "Die Leute sind enttäuscht, aber sie verzweifeln nicht am System."