Physik-Nobelpreis 2015 an Takaaki Kajita und Arthur B. McDonald für ihren Nachweis, dass Neutrinos Masse haben.
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Stockholm/Wien. Sie lösten das Neutrino-Rätsel und eröffneten damit ein neues Gebiet in der Teilchenphysik. Sie entdeckten zur Jahrtausendwende, dass die Elementarteilchen auf dem Weg zur Erde Verwandlungskünstler sind und entgegen aller bisherigen Annahmen Masse besitzen. Am Dienstag wurden sie für ihre Forschungen mit dem Physik-Nobelpreis 2015 geehrt - der 56-jährige Takaaki Kajita von der Universität Tokio (Japan) und der 72-jährige Arthur B. McDonald von der Queen’s University in Kingston (Kanada). Nach Angaben des Nobelpreis-Komitees in Stockholm waren die beiden Wissenschafter Schlüsselfiguren ihrer beiden Forschergruppen "Super-Kamiokande" und "Sudbury Neutrino Observatory".
Wassertanks als Detektoren
Der österreichische Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli hatte schon im Jahr 1930 Neutrinos vorhergesagt, nachgewiesen wurden diese elektrisch ungeladenen Elementarteilchen erst 1956. Noch viel länger - nämlich fast bis zur Jahrtausendwende - sollte es dauern, bis deren Rätsel endgültig gelöst war.
Für ihren Nachweis bauten die Wissenschafter Detektoren aus riesigen Wassertanks. In Japan ging Super-Kamiokande 1996 in Betrieb und sollte in einem mit 50.000 Tonnen mit hochreinem Wasser gefüllten Tank einen Kilometer unter der Erdoberfläche den Nachweis über die Eigenschaften der Neutrinos liefern. Drei Jahre später bauten kanadische Forscher um McDonald mit dem Sudbury Neutrino Observatory mit einem mit 1000 Tonnen schwerem Wasser gefüllten Tank zwei Kilometer unter der Erdoberfläche ein ähnliches Gerät.
Kam es in diesen Tanks zu einem Zusammenstoß zwischen einem Neutrino und einem Wassermolekül, führte dies zu sichtbaren Leuchterscheinungen - der sogenannten Tscherenkowstrahlung. Diese Lichterscheinungen kommen dann zum Vorschein, wenn Teilchen schneller als mit (im Wasser herabgesetzter) Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind.
Die beiden Forscherteams konnten damit auch nachweisen, dass Neutrinos zwischen den drei Arten Tau-, Elektron- und Myon-Neutrino ihre Identität wechseln - die Neutrino-Oszillation. Diese Wandlungsfähigkeit wurde sowohl bei Elementarteilchen in der Atmosphäre als auch bei solchen von der Sonne nachgewiesen. Die Konklusion aus diesen Experimenten war, dass Neutrinos Masse besitzen. Denn masselose Teilchen, wie etwa Photonen (Licht), können sich nicht verwandeln.
Bahnbrechende Nachricht
Dies war eine bahnbrechende Nachricht für die Teilchenphysik. Damit wurde auch klar, dass das Standardmodell der Physik nicht die vollständige Erklärung der fundamentalen Bestandteile des Universums sein kann, heißt es in einer Aussendung der Royal Swedish Academy of Sciences.
Wir leben in einer Welt voller Neutrinos. Tausende Milliarden von ihnen fließen jede Sekunde durch unsere Körper. Wir können sie weder sehen noch spüren. Sie rasen fast in Lichtgeschwindigkeit durch den Raum und interagieren kaum mit Materie. Einige von ihnen entstanden während des Urknalls, andere aus Supernovas oder beim Tod eines Sterns. Der Großteil, der die Erde erreicht, stammt aus nuklearer Aktivität innerhalb der Sonne. Nach Lichtpartikeln und Photonen sind Neutrinos die am häufigsten vorkommenden Teilchen im ganzen Universum.
Man weiß, dass die Masse der Teilchen nur sehr gering ist. Weil sie aber so häufig sind, spielen sie in der Massenbilanz durchaus eine wichtige Rolle. Laut Nobelpreis-Komitee entspricht die Masse aller Neutrinos im Universum zusammen in etwa jener der sichtbaren Sterne im Kosmos.
"Es war eine große Überraschung für mich, es ist ziemlich unglaublich", reagierte Kajita auf der offiziellen Plattform des Nobelpreis-Komitees "nobelprize.org" auf die Auszeichnung. Für McDonald sei der frühmorgendliche Anruf der schwedischen Nobeljury eine "gewaltige Erfahrung" gewesen.
Auf dem Weg zur Erkenntnis
Die Forschungen auf dem Gebiet werden weltweit fortgesetzt. Etwa auch im LHC des Kernforschungszentrums Cern und im Neutrino-Detektor IceCube in der Antarktis. Neue Entdeckungen über ihre tiefsten Geheimnisse, die unser aktuelles Verständnis der Geschichte, der Struktur und der Zukunft des Universums verändern werden, werden mit Spannung erwartet.
Das Preisgeld in Höhe von acht Millionen Schwedischen Kronen (850.000 Euro) teilen sich die beiden Ausgezeichneten auf. Offiziell verliehen wird der Nobelpreis am 10. Dezember, dem Todestag des im Jahr 1896 gestorbenen Preisstifters Alfred Nobel. Heute, Mittwoch, wird in Stockholm nach den beiden Disziplinen Medizin und Physik der diesjährige Nobelpreisträger für Chemie bekannt gegeben.