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Die Chance auf eine gerechte Lösung lebt

Von Josef Höchtl

Europaarchiv

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Über "drei Millionen Menschen mit dem Sammelbegriff "Sudetendeutsche" sind aus ihrem angestammten Heimatland gewaltsam vertrieben und enteignet worden, etliche davon brutal gefoltert und viele grausam ermordet worden, zig-tausende davon haben in Niederösterreich und Wien ( neben Bayern und anderen Bundesländern Deutschlands) ihre zweite Heimat gefunden und tatkräftig am Wiederaufbau Österreichs mitgewirkt - und das soll keine rechtlichen Konsequenzen haben?"

Das war die spontane Reaktion einer Person, die mich kennt und die als Nicht-Jurist ihr menschliches Empfinden nach Veröffentlichung des sogenannten "Frowein-Gutachtens" (in dem, kurz gefasst, die Benes-Dekrete als kein Hindernis für den Tschechischen EU-Beitritt bezeichnet werden) mir gegenüber in einem Gespräch geäußert hat. Sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass in Sachen Benes-Dekrete immerhin 48% der Österreicher für die Beseitigung und nur 35% für das "Auf sich Beruhenlassen" eintreten, während die restlichen 17% entweder mit "weiß nicht" antworteten oder keine Angabe machten. Das Linzer Meinungsforschungsinstitut market hat überdies im Oktober 2002 eine Untersuchung durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass 59 % der befragten Österreicher sich dafür aussprechen, dass die Tschechische Republik nur nach einer Aufhebung der umstrittenen Benes-Dekrete in die EU aufgenommen werden solle.

Die Position der offiziellen tschechischen Seite ist durch die Frowein-Schlussfolgerungen nach außen hin noch rigider geworden - jedoch gibt es zahlreiche ganz gegenteilige Signale von anderen Kräften. Hier nur eine Beispiel: "Prag schließt ein Entgegenkommen in einer sehr schmerzhaften politischen Frage aus", schreibt die liberale tschechische Tageszeitung MMlada fronta Dnes "und das bereits jetzt, wo es noch nicht einmal EU-Mitglied ist. Wenn es nicht einmal in dieser Situation die Fähigkeit nachweist, um einen Kompromiss bemüht zu sein, wird es großen Zweifel hervorrufen, ob es überhaupt für Europa reif ist. Falls Tschechien schon jetzt nicht lernt, friedliche Lösungen in schmerzhaften Angelegenheiten zu suchen, kann es sich nach dem EU-Beitritt in eine autistische Position hineinmanövrieren, von der aus es niemanden und nichts wird beeinflussen können, auch wenn es möchte", so die Tageszeitung.

Dieser Kommentar ist ein Indiz dafür, dass etwas bei jenen Personen in der tschechischen Republik vor sich geht, die gelernt haben in größeren Zusammenhängen zu denken und die auch bereit sind andere Auffassungen zu akzeptieren und zu verarbeiten: Die Chance auf eine gerechte Lösung lebt.

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Dr. Josef Höchtl ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Völkerverständigung