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Die Chance auf eine neue Republik

Von Walter Hämmerle

Analysen
Bauarbeiten am provisorischen Ausweichquartier für das Parlament.

Die neue Konstellation kann das Bewusstsein für die von der Verfassung vorgesehene Rollenverteilung stärken.


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Es war einmal eine Zeit, in der zwei Parteien so mächtig waren, dass sie alle Zügel in ihren Händen hielten. Natürlich gab es auch damals eine Regierung, die vom Parlament kontrolliert wurde. Und es gab selbstverständlich einen Bundespräsidenten, der - gestärkt durch eine Volkswahl - die Macht hatte, einen Kanzler nach seinem Gutdünken zu ernennen, Minister und Staatssekretäre auf Vorschlag seines Kanzlers hin zu berufen und allerlei wichtige Dokumente zu unterzeichnen, die ohne seine Unterschrift nur halb so viel und mitunter sogar gar nichts wert waren. Und nicht zu vergessen den Verfassungsgerichtshof, den Rechnungshof, die Bundesländer, die Beamtenschaft und und und.

An der Übermacht der beiden Parteien - nennen wir sie SPÖ und ÖVP - änderten all diese Institutionen trotzdem nichts. Darüber vergaßen die meisten Menschen, dass alle diese Einrichtungen nach dem Wortlaut unserer Verfassung eine tragende und eigenständige Rolle spielen sollten. Doch SPÖ und ÖVP waren einfach immer und überall zugegen, manchmal sogar, irgendwer musste den anderen ja doch kontrollieren, in doppelter Ausführung - in den Regierungen der Länder und des Bundes, den Landtagen und dem Nationalrat, in den Höchstgerichten und Verwaltungsstuben - und natürlich auch in der Präsidentschaftskanzler der Hofburg.

Das alles war einmal, und jetzt ist es damit vorbei. Natürlich nicht erst seit gestern oder heute, ein solcher Wandel erfolgt schleichend und über etliche Jahre. Aber wenn es noch eines endgültigen Belegs für diesen Bruch in der politischen Kultur des Landes bedurft hätte, dann haben ihn diese Bundespräsidentschaftswahlen erbracht.

Sicher, die Landeshauptleute sind noch (genauer: wieder) in exklusiver Hand von Rot und Schwarz, aber die Mehrheiten, mit denen in den neun Bundesländern regiert wird, könnten nicht unterschiedlicher sein: dreimal Schwarz-Grün, je einmal Schwarz, Schwarz-Rot, Schwarz-Blau, Rot-Blau und Rot-Grün und einmal ein bunter Farbfleck aus Rot-Schwarz-Grün-Stronach. Und die Bundesregierung schimmert zwar im vertrauten Rot-Schwarz, aber im Nationalrat, wo sie um einfache und Verfassungsmehrheiten kämpfen muss, sitzen aktuell gleich sechs Parteien.

Und künftig, dies ist zweifellos das stärkste Zeichen für die neuen Zeiten, wird erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik kein von SPÖ oder ÖVP nominierter Vertreter als Staatsoberhaupt in der Hofburg residieren; und das ausgestattet mit einer absoluten Stimmenmehrheit bei einer Volkswahl. Über ein stärkeres politisches Mandat verfügt kein Politiker in Österreich. Nur zur Erinnerung: Der aktuelle Bundeskanzler wurde ebenso wie sein unmittelbarer Vorgänger 2008 nicht als Ergebnis von Wahlen, sondern als Konsequenz parteiinterner Revolutionen ins Amt des Regierungschefs gehoben.

Die neue Konstellation wird, so ist jedenfalls zu hoffen, das Bewusstsein für die von der Verfassung vorgesehene Rollenverteilung stärken. Wenn künftig der Kanzler der Republik den Bundespräsidenten über dies oder das informiert, sitzt dort ein Amtsträger, der - bis zu den nächsten Wahlen zumindest - nicht wie er selbst dem Lager der Regierungsparteien entstammt. Nun besteht die Chance, dass das Verhältnis zwischen den obersten Organen der Republik im Sinne der Verfassung repolitisiert wird, indem es sich entparteipolitisiert. Falls wider Erwarten nicht, sind diesmal wenigstens mehr als nur die zwei ehemaligen Großparteien für das Versagen verantwortlich.

Unterhalb dieser staatspolitischen Ebene ist es an den einzelnen Parteien, für sich die jeweils passenden Schlüsse aus dem Dauerwahlkampfjahr 2016 zu ziehen. Dessen Quintessenz lautet in aller Kürze: Alles ist möglich, insbesondere auch das noch vor nicht allzu langer Zeit Unmögliche.

So gewährte der 24. April 2016 den beiden Regierungsparteien einen Blick auf ein Zukunftsszenario, das SPÖ und ÖVP an der Schwelle zur politischen Bedeutungslosigkeit zeigt. Auf 11,3 Prozent kam der Kandidat der SPÖ, Rudolf Hundstorfer; Andreas Khol, der für die ÖVP ins Hofburg-Rennen ging, schaffte sogar nur 11,1 Prozent der Wählerstimmen. Das bedeutete Platz vier und fünf unter insgesamt sechs Kandidaten, nur die PR-Kandidatur des einschlägig bekannten Richard Lugner konnten SPÖ und ÖVP hinter sich lassen.

Natürlich sind Bundespräsidentenwahlen keine Nationalratswahlen, und ganz eindeutig waren der ehemalige Sozialminister und der langjährige Seniorenpolitiker die falschen Kandidaten zur falschen Zeit. Und trotzdem zeigt diese Wahl, dass es für die beiden Traditionsparteien keine Grenzen auf dem Weg nach unten gibt.

Der einen Leid, der andern Freud: 2016 zeigte, dass für die Opposition die Bäume tatsächlich in den Himmel wachsen können. Mit dem/der richtigen Kandidaten/Kandidatin kann jede Partei Mehrheiten gewinnen, und sei es als geringeres Übel oder als Projektionsfläche für allen Unmut.

Die FPÖ weiß schon längere Zeit, dass sie das Zeug zur stimmenstärksten Partei im Land hat. In Umfragen sind die Freiheitlichen bereits seit Monaten die Nummer eins vor SPÖ und ÖVP; nun hat der vor Jahresfrist noch weitgehend unbekannte Norbert Hofer im Wahlkampf den Beweis erbracht, dass die FPÖ mehr ist als bloß das Ergebnis einer Ein-Mann-Wahlkampf-Maschine, die wahlweise Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache heißt.

Tatsächlich hat die FPÖ die Chance, zur neuen strukturellen Mehrheitspartei zu werden, zumindest dann, wenn die anderen Parteien den Freiheitlichen in zentralen Fragen weiterhin ein Oppositionsmonopol überlassen. Die Blauen gegen den Rest: Das ist der Stoff, aus dem die Wunschträume der freiheitlichen Politikstrategen gewoben sind.

Anders als die FPÖ schöpfen die Grünen ihr theoretisches Wählerpotenzial nur in Ausnahmefällen aus. Alexander Van der Bellen hat nun gezeigt, wie viel für die Ökopartei möglich ist.

Österreichs Politik kennt keine Gewissheiten mehr. Das Jahr 2016 hat das Selbstbewusstsein von SPÖ und ÖVP gedemütigt. In der Demut liegt allerdings auch die Chance zu einem Neuanfang. Theoretisch jedenfalls, wie Michael Häupl zeigt.