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Die Chance für Schuldlose

Von Ayala Goldmann

Wissen

Für Häftlinge, die seit Jahren hinter Gittern sitzen und von ihrer Unschuld überzeugt sind, gibt es im Süden Kaliforniens gute Nachrichten. In San Diego will die Staatsanwaltschaft als erste Anklagebehörde der USA kostenlose DNA-Tests für Gefangene anbieten, die bereits vor der Einführung genetischer Beweismittel verurteilt wurden. In einem halben Jahr können die Tests beginnen. Dabei soll eine Gen-Probe des Häftlings mit Beweismaterial wie Blut oder Sperma verglichen werden, das am Tatort sichergestellt wurde. Stimmen die Proben nicht überein, muss der Prozess neu aufgerollt werden.


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"Wir hoffen sehr, dass wir niemanden eingesperrt haben, der es nicht verdient hat. Wir haben die Verantwortung, das sicherzustellen", sagt Denise Vedder, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Seit Anfang Juni überprüfen Juristen 560 Fälle, unter ihnen elf zum Tod verurteilte. Mehrere Gefangene hätten sich schon telefonisch gemeldet und ihr Interesse an einem DNA-Test bekundet, berichtet die Sprecherin. Die Kosten von 5.000 Dollar (5.538 Euro/76.209 Schilling) trägt der Staat.

Bisher haben die Ankläger DNA-Tests für Gefangene häufig mit dem Argument abgeblockt, dass die Einführung neuer Beweismittel mehrere Jahre nach einer Verurteilung nicht vorgesehen sei. Vedder: "Wir wollen aber lieber in die Offensive gehen, bevor die Gefangenen auf uns zukommen." Ähnliche Initiativen gibt es auch in Illinois und Texas.

Die Debatte über schuldlos verurteilte Gefangene entzündet sich immer wieder an Todesurteilen. Seit 1992 haben DNA-Tests nach Angaben der New Yorker Initiative "Innocence Project" (Unschuldsprojekt) in den gesamten USA in bisher mindestens 70 Fällen, unter ihnen acht Todeskandidaten, Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Verurteilte tatsächlich der Täter war.

Anfang Juni gewährte der Gouverneur von Texas und Präsidentschafts-Kandidat George W. Bush den Aufschub einer Hinrichtung, weil der Todeskandidat Ricky McGinn einen DNA-Test verlangte. Der Test belastete den Mann, der wegen der Ermordung und Vergewaltigung seiner zwölfjährigen Stieftochter verurteilt worden war, aber schwer.

Dass das Projekt in San Diego zu einer Massen-Revision alter Urteile führen wird, ist nicht zu erwarten. Bisher komme in 36 überprüften Fällen nur einer für einen DNA-Nachtest in Frage, sagt Vedder. Die anderen 35 Gefangenen hätten sich vor Gericht zu ihrer Schuld bekannt, oder es sei - etwa bei Schussattentaten aus Autos - kein genetisches Material am Tatort zurückgeblieben. Bei lange zurückliegenden Verurteilungen könne es auch häufig vorkommen, dass Blut- oder Spermaspuren vernichtet wurden. Und schließlich hätten nicht alle Gefangenen Interesse an einem DNA-Test, weil sie damit auch anderer Taten überführt werden könnten.