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Die Chancen für die große Lösung schwinden

Von Herbert Hutar und Hermann Sileitsch

Politik

Deutschland rückt von Finanztransaktionssteuer ab.| Österreichs Regierung hält weiter an Plänen fest.| Experten orten "Mogelpackung".


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Wien. Noch vor wenigen Jahren wurde eine Finanztransaktionssteuer als linke Spinnerei belächelt. Heute liegt sie immerhin als Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch - als eine Art Eier legende Wollmilchsau der Finanzpolitik: Minimale Steuersätze weit hinter dem Komma sollen die Sekundenmärkte für Finanzprodukte und damit gefährliche Spekulationswellen dämpfen, den Nationalstaaten und der EU Milliarden in die Kassen spülen, dadurch die Beitragszahlungen der Staaten an die Union reduzieren - und obendrein weder die Realwirtschaft noch die Konsumenten merklich belasten.

Der Erfinder der Steuer, der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin würde sich wundern, was aus seiner Idee geworden ist. Er wollte eigentlich Sand in das Getriebe des schon 1972 schwindelerregenden Spekulationskarussells mit Devisen streuen und hatte Staatseinnahmen ganz zuletzt im Sinn. Von "Tobin-Steuer" spricht heute niemand mehr.

"Die kriegen wir nicht hin"

Auf 57 Milliarden Euro pro Jahr schätzt die EU-Kommission die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, falls sie in allen 27 Mitgliedsländern zustande käme.

Genau da liegt aber der große Haken: Dass das, wie die Kommission meint, schon 2014 der Fall sein wird, ist mittlerweile ausgeschlossen. In der EU gelten 14 Staaten als Unterstützer der Transaktionssteuer, sechs sind deklarierte Gegner. In der Eurozone sind die Niederlande skeptisch - diese müssten wegen der Börse Amsterdam aber jedenfalls mit an Bord sein, sagen Experten.

Der Karren ist zusehends verfahren, die Chancen schwinden. Nach wochenlangem Tauziehen bekannte Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble nun, dass er nicht mehr an die Einführung der Finanztransaktionssteuer glaube: "Die kriegen wir nicht hin." Nicht einmal im Euroraum habe die Steuer eine Chance auf Umsetzung. Es gebe etliche Länder, "die sagen, wenn wir sie nicht in ganz Europa kriegen, dann machen wir sie nicht bei uns", so Schäuble.

Zu diesen Ländern zählt Luxemburg: Regierungschef Jean-Claude Juncker, zugleich der Vorsitzende der Eurogruppe, machte sich am Dienstag ebenfalls bereits auf die Suche nach Alternativen: "Ich bin sehr dafür, die Finanzbranche in einer umfassenderen Weise für die finanziellen Folgen der Krise zur Verantwortung zu ziehen", so Juncker. "Mein Vorschlag ist, das gleiche Ziel beizubehalten und nach einem anderen Instrument zu suchen."

Was das sein könnte, hat Schäuble angedeutet. Er will "ausgehen von dem, was die Briten haben - im Grunde die alte Börsenumsatzsteuer." Für den Ökonomen Stephan Schulmeister vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo wäre das eine glatte "Mogelpackung": "Durch diese Schmalspurlösung würde die Grundidee, die Finanzmärkte zu stabilisieren, ruiniert." Börsenumsatz- und/oder Kapitalverkehrssteuern gibt es in der EU noch in Belgien, Finnland, Griechenland, Italien und Zypern, aber das sind eher löcherige Systeme, die dem Fiskus bestenfalls ein paar hundert Millionen Euro einbringen.

Paradoxerweise erhebt Schäuble ausgerechnet den schärfsten Gegner der Transaktionssteuer zum Vorbild. Der britische Finanzminister George Osborne hatte die EU-Pläne mit schrillen Worten als "Hirngespinste, reine Phantasie" bezeichnet. Dabei gibt es in Großbritannien seit langem die sogenannte Stempelsteuer von 0,5 Prozent für den Handel mit inländischen Aktien an der Börse. Die Erlöse sind durch die Finanzkrise aber von mehr als sechs auf rund vier Milliarden Euro zusammengeschmolzen, ein Anteil von unter einem Prozent an den Steuereinnahmen.

Der Grund für das geringe Aufkommen: Die Stempelsteuer lässt sich mit einfachen Mitteln vermeiden. Schlimmer noch: Die Umgehung führt zu einem Boom jener Derivate, die man mit der Steuer eigentlich bremsen wollte. Statt Aktien zu kaufen oder zu verkaufen, weichen Investoren einfach auf synthetisch konstruierte Papiere aus, welche die Kursdifferenzen nachbilden.

Für die Briten inakzeptabel

Der Handel mit vielen anderen Finanzprodukten ist von der britischen Steuer nämlich nicht erfasst. So ist das Riesenvolumen des Devisenhandels ausgenommen. Hier steht der Finanzplatz London für ein Drittel des weltweiten Aufkommens - ein Billionenbetrag, der mit Währungsgeschäften zustande kommt.

Auch der besagte Derivatehandel mit Futures, Optionen oder Kreditausfallsversicherungen (CDS), den Finanzmarktkritiker als besonders spekulativ einstufen, ist nicht erfasst. Unter den Tisch fällt auch der außerbörsliche Handel mit Finanzprodukten direkt zwischen zwei Partnern, die sogenannten OTC-Geschäfte (Over-The-Counter).

Bei den Derivaten ebenso wie bei den OTC-Geschäften und bei den Anleihen würde die Finanztransaktionssteuer einhaken, und das würde den Londoner Finanzplatz massiv treffen. "Bei den Derivaten, also etwa Optionen, würde nicht die Option, also die Gebühr für die Durchführung eines Geschäftes von der Steuer erfasst, oder der Preisunterschied zwischen zwei Positionen, was dann tatsächlich in Finanzströme mündet, sondern der viel höhere Basiswert eines Geschäftes", erklärt Thomas Url vom Wifo: "Das können 10.000 Tonnen Öl sein, oder zwei Millionen Aktien oder Anleihen für 20 Millionen Dollar. Wenn hier jede Transaktion mit 0,01 Prozent versteuert wird, so macht das einen merkbaren Betrag aus."

Auf einen weiteren Giftzahn der Finanztransaktionssteuer aus Sicht der Briten verweist Wifo-Kollege Stephan Schulmeister: Die Steuer fällt dort an, wo das handelnde Unternehmen seinen Sitz hat. "Wenn also eine Tochterfirma der Deutschen Bank in London spekuliert, dann wird die anfallende Finanztransaktionssteuer nicht in London fällig, sondern in Frankfurt", so Schulmeister. Der britische Schatzkanzler würde also bei einem in London von einem deutschen Institut getätigten Geschäft durch die Finger schauen. Gründe genug für die Briten, sich dem gewohnten Anti-EU-Reflex hinzugeben. Was von den geschätzten 57 Milliarden Euro an Einnahmen ohne Großbritannien, also nur in der Eurozone, übrigbliebe, ist völlig unklar.

Ein gebranntes Kind - und deshalb Gegner der Finanzsteuer - ist Schweden. Eine 1985 eingeführte Börsenumsatzsteuer wurde zum Fiasko. Anstelle der geschätzten Einnahmen von umgerechnet jährlich 165 Millionen Euro wurden nicht mehr als neun Millionen Euro erlöst. Grund dafür war der Einbruch der Handelsumsätze um 85 Prozent bei festverzinslichen Wertpapieren und des Terminhandels mit Futures und Optionen auf nahezu null.

Großer Gewinner war London. Im Jahr 1992 wurde die schwedische Steuer wieder abgeschafft. Die Skandinavier werden von der EU-Kommission als warnendes Beispiel für nationale Alleingänge vorgeführt, wenn es um die Werbung für eine EU-weite Transaktionssteuer geht. Nicht zuletzt wegen der schwedischen Erfahrungen poche die EU-Kommission auf das Herkunftsprinzip, hatte EU-Budgetkommissar Janusz Lewandowski vor wenigen Tagen betont: Die Steuer fällt dort an, wo der Investor beheimatet ist. Ein Unternehmenssitz lasse sich nicht so einfach verlegen wie der Ort einer Finanztransaktion.

Faymann will EU-Begehren

Viele Gegner der Finanztransaktionssteuer knüpfen dennoch ihre Ängste an das schwedische Beispiel: Wenn nur die Eurozone die Transaktionssteuer einführt, weichen Investoren nach London aus, fürchten sie. Und die Briten fürchten, dass bei einer EU-weiten Transaktionssteuer New York, Singapur und Hongkong die Gewinner wären. Singapur und Hongkong haben zwar auch Börsenumsatzsteuern, die sind aber ähnlich löchrig wie die Londoner Stempelsteuer.

Auch die Schweiz wäre ein Fluchtpunkt für Investoren, meint Url. Sie erhebt für den Kauf und Verkauf von Wertpapieren zwar eine "Eidgenössische Umsatzabgabe". Zahlreiche Ausnahmen und Befreiungen für institutionelle Anleger, Fonds und Versicherer schließen eine umfassende Besteuerung aber aus. Url zieht daraus den Schluss: Die Finanztransaktionssteuer sollte kein Thema für die EU, sondern für die OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, also ein weltweites sein. Tatsächlich will die EU-Kommission auch auf der Ebene der G20 für die Finanztransaktionssteuer werben. Dort allerdings sitzen aber große Gegner mit am Tisch: die USA, Kanada und China. Und solange die EU nicht einmal eine geschlossene Position vertreten kann, wird sie überhaupt kein Gehör finden.

Strittig ist ein weiterer Punkt: Wohin sollen die Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer fließen? Die EU-Kommission hat zwei Drittel ihrem eigenen Budget zugedacht. Ein Drittel bliebe für die nationalen Haushalte.

Österreichs Finanzministerin Maria Fekter hingegen hat jährliche Einnahmen von 500 Millionen Euro in den Finanzplan ab 2014 geschrieben. Relativ billiger gab es der sonst um große Gesten nicht verlegene französische Präsident Nicolas Sarkozy: Er wollte "nur" eine Milliarde Euro lukrieren - obwohl Frankreichs Wirtschaftsleistung etwa acht Mal so groß ist wie jene Österreichs. Sarkozy hat notfalls sogar einen Alleingang Frankreichs geplant.

So weit ist Österreichs Regierung noch nicht: Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger wollen aber weiter für die Finanzsteuer kämpfen. Faymann ortet primär innerkoalitionäre Gründe für den Schwenk der deutschen Unionsparteien. "Der Riese‘, der da bremst, ist die FDP. Da schaue ich mir gerne weitere Wahlergebnisse an", kommentierte er mit Verweis auf den Absturz der kleineren deutschen Regierungspartei. Der Kanzler sieht noch Zeit bis Dezember 2013. Notfalls will er das neue Instrument des EU-Volksbegehrens bemühen, um der Steuer neuen Schwung zu verleihen.