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Die China-Ukraine-Verbindungslinien

Von Doris Vogl

Gastkommentare
Doris Vogl ist Sinologin und Politologin und als Gastforscherin am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) der Landesverteidigungsakademie tätig. 2015 bis 2017 war sie als OSZE-Beobachterin in der Ost-Ukraine.
© HBF / Carina Karlovits

Welche Rolle nimmt die Volksrepublik in der aktuellen Krise ein?


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Im aktuellen medialen Ukraine-Diskurs tritt eines offen zutage: Die Diskursmuster zu Friedensförderung und Konfliktmanagement sind "engmaschig" geworden. Die diskursiven "Strickvorlagen" beziehen sich auf Narrativ A (pro-westlich) oder B (anti-westlich). Auch die kolportierte Rolle der Volksrepublik China in der Ukraine-Krise folgt dieser Vorlage. Dies lässt leider Genauigkeit in der Analyse vermissen: Es werden direkte Verbindungslinien zwischen dem Donbass und Taiwan gezogen, ohne Rücksicht auf divergenten Kontext und mangelnde kausale Stringenz.

Nicht minder oberflächlich wird "China-Bashing" betrieben, wenn es um die Ablehnung Pekings als Vermittler in der Ukraine-Krise geht. Eine solche Ablehnung erfolgte in der letzten Jänner-Woche, als sich das US State Department an China mit der Aufforderung wandte, auf Russland "de-eskalierend" einzuwirken. Die Volksrepublik argumentierte jedoch, die verfahrene Lage in der Ukraine könne mit chinesischer Beteiligung nur auf Ebene des UN-Sicherheitsrates effektiv abgehandelt werden. Zugleich machte Peking keinen Hehl daraus, dass ausschließlich europäische Akteure - wie etwa die Verhandler des Minsker Abkommens - weitere Gespräche leiten sollten.

China betrachtet die Krim als ukrainisches Territorium

Genug der Diskurs-Kritik. Weitaus dringlicher scheint es, die Leserschaft auf einige Punkte der gemeinsamen russisch-chinesischen Erklärung vom 4. Februar hinzuweisen. Das bilaterale Kommuniqué ist übrigens auf der Kreml-Website in englischer Sprache abrufbar. Die Aufmerksamkeit heimischer Medien war vorrangig auf Punkt III Absatz 6 fokussiert, wo China im Tandem mit Russland eine Nato-Erweiterung ablehnt.

Zwei einschränkende Aspekte sind allerdings in der Solidaritätserklärung mit Russland zu berücksichtigen: Im elfseitigen Kommuniqué wird die Ukraine kein einziges Mal erwähnt, auch wird keine Anerkennung der Krim-Annexion deklariert. Die sicherheitspolitische Frontbildung Chinas mit der Russischen Föderation hat klare Grenzen, denn auch nach 2014 betrachtet es die Krim nach wie vor als ukrainisches Territorium.

Einem weiteren relevanten Passus im russisch-chinesischen Kommuniqué wird wenig Beachtung geschenkt. Unter Punkt III Absatz 4 wird angekündigt, in Zukunft jegliche Destabilisierungsversuche durch externe Kräfte in "common adjacent regions" - frei übersetzt "gemeinsames nahes Ausland" - gemeinsam abzuwehren. Es muss nicht erst erwähnt werden, dass es sich dabei um souveräne Staaten handelt.

Auch unter diesem Kontext - abgesehen von diplomatischer Routine am Rande der Olympischen Spiele - ist wohl die rasche Abfolge bilateraler Gespräche zwischen Präsident Xi Jinping und diversen zentralasiatischen Staatsoberhäuptern zu verstehen. Diese Treffen fanden allesamt unmittelbar nach Verlautbarung des russisch-chinesischen Kommuniqués am 5. und 6. Februar statt.

Russisch-chinesische Gaslieferverträge

Bei Chinas pro-russischer Stellungnahme bezüglich Nato drängt sich der Verdacht auf, dass der Kreml diese der Führung in Peking quasi abgerungen hat, im Austausch natürlicher Ressourcen. Dieser Verdacht erscheint plausibel, zumal zeitgleich mit dem Joint Statement ein Vertragsabschluss zwischen Gazprom und CNPC (China National Petroleum Corporation) verlautbart wurde. Dieser beinhaltet umfangreiche Gaslieferungen an China über eine neu zu erbauende Pipeline.

Der russisch-chinesische Liefervertrag ist mit 25 bis 30 Jahren langfristig angelegt. China rechnet mit ersten Lieferungen in zwei bis drei Jahren. Vereinbart sind 10 Billionen Kubikmeter pro Jahr, dies entspricht in etwa 20 Prozent der Kapazität von North Stream 2. Ebenfalls am 4. Februar unterzeichnete Rosneft ein Abkommen mit CNPC über die Lieferung von 100 Millionen Tonnen Rohöl über den Zeitraum von zehn Jahren und verlängerte damit ein bereits bestehendes Abkommen.

Doch zurück zur Rolle Chinas am Rande der Ukraine-Krise und zur Beziehung zum Kreml. Während der vergangenen Monate hat es die Volksrepublik offenbar verstanden, den wachsenden Bedarf an nicht-erneuerbaren natürlichen Ressourcen langfristig abzusichern. Dies ist gelungen angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Russland und den traditionellen europäischen Abnehmerländern. Und genau hier sind die direkten sicherheitspolitischen China-Ukraine-Verbindungslinien anzusetzen. Diese sollten in Europa - auch in Österreich - mittelfristig Sorge bereiten.