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Die Corona-Katastrophe blieb in Afrika vorerst aus

Politik

Es wird zwar weniger getestet, trotzdem sprechen viele Indizien dafür, dass die Corona-Pandemie Afrika weniger hart getroffen hat. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Spurlos ging Corona an dem Kontinent jedoch nicht vorüber.


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Die Befürchtungen waren groß. Hunderttausende Corona-Tote hielten Forscher aus dem Gesundheitsbereich, Politiker und Journalisten in Afrika für möglich, als die Pandemie im Frühling über den Globus zu wandern begann. Auch verschiedene Gründe für diese Annahme wurden genannt: Etwa dass in Afrika Großfamilien auf engem Raum leben und so wenig Distanz gehalten werden kann. Oder dass auf keinem Kontinent das Gesundheitswesen so schwach ist und so schnell zu kollabieren droht. In Mosambik, einem 29-Millionen-Einwohner-Land, stehen gerade einmal rund 30 Beatmungsgeräte in den Krankenhäusern zur Verfügung.

Doch, wie es derzeit aussieht, ist in Afrika die große Katastrophe ausgeblieben. Der Kontinent hat bisher rund 1,5 Millionen Covid-19-Fälle verzeichnet. Zum Vergleich: Allein in den USA waren es mehr als 7,5 Millionen. Allerdings dürfte die Dunkelziffer in Afrika viel höher liegen. Denn nirgendwo wird so wenig getestet. So wurden in Österreich bis 7. Oktober 192,6 Tests je 1.000 Einwohner durchgeführt, in Kenia waren es gerade einmal 10,48 - und Kenia liegt damit noch im oberen Feld der afrikanischen Staaten. Wissenschafter schätzten bei einer in Kenia durchgeführten Studie, dass 1,6 Millionen Kenianer Corona-Antikörper hatten - während das Land bis Ende dieser Woche gerade einmal rund 39.900 Corona-Fälle verzeichnet hat.

Allerdings gibt es noch weitere Indizien, dass die Pandemie Afrika bisher wenig getroffen hat. So hat Afrika mit knapp über 36.000 Covid-Toten eine enorm niedrige Sterberate - vergleicht man das etwa mit den schon mehr als 215.000 Todesfällen in den USA. Zwar werden viele Todesfälle nicht diagnostiziert oder verzeichnet, gestehen Politiker und Forscher ein. Gäbe es aber einen sehr großen Anstieg an ungeklärten Todesfällen, würde man es merken, meint Pathologin Anne Barasa von der Universität von Nairobi. In Kenia etwa "gibt es keine Berichte von mehr Todesfällen und auch Gemeinden haben das nicht gemeldet". Zwar fehlen vielerorts verlässliche Daten und Zahlen, doch im Moment scheint es, dass des in Afrika zu keiner Übersterblichkeit wegen Corona gekommen ist.

Der Forscher Shaun Truelove von der US-amerikanischen Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health verweist zudem darauf, dass nichts von einem Sturm auf Gesundheitseinrichtungen bekannt ist - was der Fall sein müsste, wenn die Pandemie wesentlich tödlicher wäre. Doch das ist sie offenbar nicht.

Als Grund dafür wird immer wieder die junge Bevölkerung in Afrika genannt. "In den meisten afrikanischen Ländern sind nur rund drei Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre", sagt Matshidiso Moeti, die Afrika-Chefin der Weltgesundheitsorganisation WHO. Und Covid-19 nimmt vor allem bei älteren Menschen schwere Verläufe.

Ursachenforschung betrieb auch eine Gruppe afrikanischer und europäischer Wissenschafter, darunter Bertrand Lell von der Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien, der zudem auch in Gabun forscht. Neben der Altersstruktur verwiesen diese Wissenschafter bei der Veröffentlichung ihrer Publikation im August auf eine weitere mögliche Erklärung.

Parasiten könnten Einfluss auf Corona-Erkrankungen haben

So könnte laut Lell die weite Verbreitung häufiger Infektionskrankheiten, etwa bedingt durch Parasiten, auch Einfluss auf die Corona-Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent genommen haben. Diese können das Immunsystem verändern und führen auch zu einer Verminderung von überschießenden Entzündungsreaktionen, die zunehmend als Ursache für schwere Covid-19-Verläufe erkannt werden. Allerdings ist das vorerst eine Vermutung, es fehlen dazu noch ausführliche Daten.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind wahrscheinlich auch Alltagsgewohnheiten. "Das Virus wird draußen nicht leicht übertragen", sagt Francisca Mutapi von der Universität Edinburgh. "Ein beträchtlicher Teil der afrikanischen Bevölkerung lebt am Land und verbringt viel Zeit im Freien."

Darüber hinaus haben afrikanische Staaten sehr früh sehr strikte Maßnahmen gesetzt. Rot-Kreuz-Mitarbeiter, die den Frühling in Kenia verbracht hatten, berichteten, dass die Maßnahmen dort strikter waren als hier in Österreich. In allen öffentlichen Räumen mussten die Hände desinfiziert werden, auch im Freien mussten die Bürger vielerorts Masken tragen, und sogar eine nächtliche Ausgangssperre wurde ausgerufen. Auch in vielen anderen afrikanischen Staaten galten ähnlich strikte Maßnahmen.

Nachdem das Virus erst recht spät in größerem Ausmaß nach Afrika kam, hatten die Staaten dort mehr Vorbereitungszeit. Ein weiter Grund für die umfassende Reaktion mag gewesen sein, dass viele afrikanische Staaten, etwa mit Ebola, schon viel tödlichere Epidemien erlebt haben.

Die Regierungen standen dabei vor einem Dilemma: Entweder sie verhindern einen Gesundheitsnotstand, oder sie nehmen enorme soziale Härten in Kauf. Vor dieser Entscheidung standen Staaten auch anderswo, doch in Afrika waren die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen besonders heftig, weil die Armut schon zuvor besonders groß war.

Humanitäre Hilfe ist nunviel schwieriger zu leisten

Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Region rund um den Tschad-See, der an die Staaten Tschad, Kamerun, Nigeria und Niger grenzt. Die Gegend ist von vielen Krisen betroffen: Vom Klimawandel, so ist der See bereits zu 90 Prozent ausgetrocknet und Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden. Bewaffnete Konflikte, Rebellen und islamistische Milizen sind dort unterwegs. Zudem wird die abgelegene Region von den Regierungen oft vergessen.

Nun hat die Corona-Krise die Lage drastisch verschärft. Humanitäre Hilfe sei nun viel schwieriger möglich, berichtete Claudine Mensah Awute, die Direktorin für Westafrika von Care, bei einer von der Hilfsorganisation organisierten Videokonferenz. So war etwa in Nigeria der Verkehr auch innerhalb des Landes enorm eingeschränkt, was Hilfslieferungen erschwerte oder nur mit dem Helikopter möglich machte. Auch die für die benötigten Hilfsgelder treffen nur zu einem Bruchteil ein. Die Folge: Mehr unterernährte Kinder, mehr Familien, die nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen. "12.5 Million Menschen sind in dieser Region nun auf Nothilfe angewiesen. Das sind um 1,7 Millionen mehr als am Anfang dieses Jahres", berichtete Awute. (klh)