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Die Demokratie bleibt indirekt

Von Simon Rosner

Politik

Die Regierung will ihr Demokratiepaket diskutieren, die Opposition ist schon vorab vom Inhalt enttäuscht


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Wien. Rein physisch existiert sie natürlich nicht, diese Schublade im Parlament, in der ein Volksbegehren nach dem anderen verschwindet. Dafür dient die Parlamentshomepage als eine Art Friedhof der Volksbegehren samt archivierter Grabreden der Abgeordneten. Denn ab 100.000 Unterstützern muss sich der Nationalrat mit Volksbegehren befassen, doch wirklich ernsthaft tut er das seit jeher nicht.

Am Freitag will die Regierung das von ihr vereinbarte Demokratiepaket im Parlament diskutieren, erfolgreiche Volksbegehren sollen künftig durch eine verpflichtende Behandlung in einer Sondersitzung aufgewertet werden. Zumindest interpretieren die Regierungsparteien ihren Vorschlag als Aufwertung der direkten Demokratie, die Oppositionsparteien sehen darin eher einen Affront.

Allein auf weiter Flur

Denn SPÖ und ÖVP haben sich nicht auf das Modell einer dreistufigen Volksgesetzgebung einigen können, also auf einen Weg von einer Volksinitiative hin zu einer verpflichtenden Volksabstimmung. Zu weit liege man in diesem Punkt noch auseinander, hieß es. Doch nicht nur zwischen den Koalitionsparteien, auch innerhalb dieser herrscht Uneinigkeit, so hatten sich etwa Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) in jüngerer Vergangenheit für die Verankerung direktdemokratischer Instrumente ausgesprochen, allerdings stehen sie mit ihrer Meinung eher alleine da. Nach der Volksbefragung am Sonntag sind immerhin alle vier Oppositionsparteien auf einer Linie und fordern mehr direkte Demokratie.

Doch wie soll das Modell aussehen? Wie viele Unterschriften müssen für eine Volksabstimmung gesammelt werden? Und über was darf überhaupt abgestimmt werden? Im Detail gehen die Meinungen der Oppositionsparteien dann doch auseinander. "Doch derzeit geht es darum, den Artikel 1 der Verfassung ("[...] Das Recht geht vom Volk aus", Anm.) mit Leben zu erfüllen", sagt BZÖ-Bündnissprecher Rainer Widmann.

Das BZÖ spricht sich für ein Quorum von 400.000 Unterstützern aus, die für eine Volksabstimmung nötig sind - sofern das Parlament nicht ohnehin entsprechende Beschlüsse fasst. FPÖ und Grüne wollen die Grenze bei vier Prozent einziehen, also jener Hürde, die Parteien überschreiten müssen, wenn sie in den Nationalrat kommen wollen. Das wären dann in etwa 200.000 Unterstützer, die Demokratie-Plattform "MeinOE" spricht von einer Latte von 300.000 Unterschriften.

Was darf Volk entscheiden?

Laut FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan sollten die Proponenten eines Volksbegehrens im erfolgreichen Fall dann auch das Pouvoir erhalten, Verhandlungen mit dem Nationalrat zu führen. "Wenn es nicht zur Umsetzung kommt, sollten sie eine Volksabstimmung beantragen dürfen", sagt Stefan.

Wesentlicher als diese Zahlenspiele ist die Frage, ob das Volk zu allen Themen befragt werden soll. BZÖ und FPÖ wollen den Souverän über alle Fragen abstimmen lassen, mit denen sich auch der Nationalrat beschäftigt. "Minderheitenrechte sind ein heikles Thema, aber wenn das Parlament darüber abstimmen kann, warum nicht das Volk", sagt Widmann, und Stefan ergänzt: "Man darf das Volk nicht für primitiv halten, man muss das schon auch riskieren."

Die Ausgestaltung der direkten Demokratie wird das Parlament in den kommenden Tagen und vermutlich auch Wochen beschäftigen, zumal alle Parteien noch unter dem Eindruck der hohen Beteiligung bei der Volksbefragung stehen. "Der politische Diskurs würde sich klar verändern", sagt Daniela Musiol, Verfassungssprecherin der Grünen. Doch sie bemüht den Konjunktiv: Bis zu einer Volksgesetzgebung in Österreich ist der Weg noch sehr weit. Trotz Demokratiepaket.

Wissen: Demokratiepaket

Das von der Regierung vor dem Jahreswechsel beschlossene Demokratiepaket umfasst eine Reihe von Gesetzesänderungen, die ab Freitag im Parlament diskutiert und im Frühjahr beschlossen werden sollen. Vorzugsstimmen sollen künftig auch auf Bundesebene vergeben werden können, ein Vorrücken ist ab sieben Prozent der jeweiligen Parteistimmen vorgesehen. Auch auf Landes- und Regionalebene sollen die Hürden bei Vorzugsstimmen gesenkt werden. Bei Volksbegehren ist eine parlamentarische Behandlung weiterhin erst ab 100.000 Unterstützer vorgesehen, allerdings soll es in diesem Fall eine verpflichtende Sondersitzung im Nationalrat geben, außerdem können die Unterschriften künftig auch elektronisch abgegeben werden.

Eine Neuerung wäre die sogenannte Bürgeranfrage an Regierungsmitglieder. Bisher ist dies nur Abgeordneten möglich. Notwendig für eine solche Anfrage sind 10.000 Unterstützer, die Beantwortung durch die Minister soll in vier Fragestunden pro Jahr erfolgen.

Geschaffen werden soll auch eine zentrale Wählerevidenz, die vom Innenministerium verwaltet wird. Derzeit ist das Gemeindesache, weshalb bei Volksbegehren nur in der Heimatgemeinde die Unterschrift geleistet werden kann. Die Bürgeranfrage sowie die verpflichtende Sondersitzung bei erfolgreichen Volksbegehren muss der Nationalrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen.