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Die Wahl wird geschlagen sein. Und die Liste "Jetzt" wird sich in Liste "Damals" umbenennen müssen. Die Liste "Kurz" dagegen bastelt schon an dem neuen Parteinamen Liste "Viel zu lang". Doch: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.
Denn die Koalitionsverhandlungen ziehen sich. Lang. Sehr lang. Sehr, sehr lang. Die Bundeskanzlerin heißt noch im November wie ein Seidl, nämlich Bierlein, und im Dezember auch noch. Eine Koalition aus Grünen und Neos und ÖVP scheitert, weil die Grünen etwas für das Klima tun wollen, die beiden anderen aber nur so tun wollen, als ob. Eine Koalition zwischen der ÖVP und der SPÖ scheitert an der gegenseitigen Wertschätzung. Ist die ÖVP für viele Sozialdemokraten ein Haufen aufgeblasener Großbürgerkinder, die den Unterschied zwischen Hackler und Hacker nicht kennen, finden viele in der ÖVP, die Sozialdemokraten wären schlicht degenerierte, proletoide Nasenbohrer, die nicht verstehen wollen, wie super-süß der Exkanzler ist, wenn man ihn mal näher kennenlernt. Anderes lässt die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP scheitern. Hier ist man zu sehr einer Meinung. Und so zerstreitet man sich über die Frage, ob es nun einen 14-, 16-, 18- oder doch einen 28-Stunden-Arbeitstag geben sollte. Einig ist man nur, dass Muslimen grundsätzlich verboten werden soll, kopfüber von der Decke zu hängen, in Särgen zu schlafen und das Blut von Jungfrauen zu trinken. Aber das reicht für eine Regierungsbildung nicht. Erst recht nicht, weil Herbert Kickl den Gartenzaun von Norbert Hofer um die gesamte Republik herum verlängern will.
Unorthodoxe - ja fast blasphemische - Lösungen werden angedacht: eine Regierung ohne ÖVP zum Beispiel. Neos, SPÖ und FPÖ scheitern an der Strafprozessordnung, die die FPÖ gerne abschaffen möchte. Grüne, SPÖ und FPÖ an der grundsätzlichen Frage, ob man eigentlich anderer Meinung sein darf als der Innenminister. Und so wird weiter diskutiert und sondiert und abgewogen und langgezogen. In der Hoffnung, dass irgendeiner angesichts der prall gefüllten Futtertröge doch einmal nachgeben muss.
Und so wird auch 2020 die Bundeskanzlerin Bierlein heißen. Und auch 2021. Und 2022. Und so geht das noch Jahre dahin. Nationalratswahlen kommen, Nationalratswahlen gehen. Die Kanzlerin bleibt dieselbe. Was nicht heißt, dass nichts passiert. Im Parlament kommt es zu vermehrten Sachdiskussionen. Themen werden ausgelotet. Probleme in ihrer Tiefe debattiert. Und immer wieder kommt es zu Abstimmungen über Pflege, Klimawandel, Bildung und andere tatsächlich relevante Themen, bei denen die Abgeordneten nach ihrer tatsächlichen Meinung und der Faktenlage und teilweise sogar nach ihrem Gewissen abstimmen. Und bei ihrem Abtritt in den Ruhestand ist die Kanzlerin die beliebteste seit Aufzeichnung der Messdaten. Denn in ihrer 23-jährigen Regierungszeit sind wirklich wichtige Sachen beschlossen worden. Sachen, die den Menschen auch nützen in dem Land. Da sich aber keine Mehrheit im Parlament für ein/e Nachfolger/in finden lässt, regiert weiter das Parlament.
Und dann ist es passiert. Ganz unmerklich. Unbeabsichtigt.
Dann ist in Österreich die Demokratie ausgebrochen.