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Die Demokratie ist in den Republiken Zentralasiens oft nur Fassade

Von Gerhard Lechner

Politik

Kirgistan stellt Usbeken vor Gericht. | Region wegen Rohstoffen wichtig. | EU drückt im Zweifelsfall Auge zu. | Wien. Demokratie kann in Zentralasien manchmal ein recht potemkinsches Gesicht haben: Ausgerechnet in Kirgistan, dem Land, das sich nach der Vertreibung von Diktator Kurmanbek Bakiew ein europäisch anmutendes, parlamentarisches System gegeben hatte, teilte das Komitee für Staatssicherheit Anfang Mai mit, nach den Verfassern zweier Bücher zu fahnden. Diese hatten offenbar ein Sakrileg begangen, indem sie die Ausschreitungen und Pogrome vom Juni 2010, als in den Städten Osch und Dschalalabad die Häuser der usbekischen Minderheit in Flammen aufgingen, etwas kühn als Genozid an den Usbeken bezeichneten. Obwohl laut einer internationalen Untersuchungskommission 75 Prozent der Opfer der Ausschreitungen Usbeken waren, sind es die Führer der alteingesessenen usbekischen Minderheit, die sich vor einem Gericht in Dschalalabad wegen "Organisation von Massenunruhen" verantworten müssen.


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Kirgistans Präsidentin Rosa Otunbajewa sprach am Rande des Weltwirtschaftsforums zu Zentralasien und dem Kaukasus in Wien von einem "starken Nationalismus", der sich im Land breit mache und gegen den es - neben einem aus Afghanistan eingeschleppten islamischen Radikalismus - anzukämpfen gelte. Ob Otunbajewa damit nur der Nationalismus der Usbeken, die um ihre traditionelle Stellung in den Städten Süd-Kirgistans fürchten, meinte, blieb unklar. Die 60-Jährige zeichnete auf dem Weltwirtschaftsforum insgesamt ein positives Bild der Entwicklungen in ihrem Land: Die Revolution in Kirgistan, so die Übergangspräsidentin, die im November bei der Präsidentenwahl nicht mehr antreten wird, habe gar den Weg für den "arabischen Frühling" vorgezeichnet. Sie selbst wolle mit ihrem Nicht-Antreten "ein Beispiel setzen, dass man sich von der Macht verabschieden kann". Otunbajewa hatte schon zuvor etwas für Zentralasien Unübliches getan, nämlich sich zu erheblichen Einschränkungen der Präsidialmacht zugunsten des Parlaments bereitgefunden. Sie bewarb in Wien die demokratischen Reformen in ihrem Land ("Wir haben heute eine freie Presse und eine starke Zivilgesellschaft") und erklärte, es sei "nicht akzeptabel, wenn Diktatoren auf ihr Volk schießen".

Pikanter Auftritt

Pikant war, dass die kirgisische Präsidentin diese Aussage ausgerechnet bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem kasachischen Vizepremier Jerbol Orynbajew und dem stellvertretenden Regierungschef Turkmenistans, Akylbek Japarow, tätigte. Beide Länder sind schließlich nicht gerade als Musterschüler in Sachen Entwicklung zur Demokratie bekannt: In Kasachstan regiert immer noch, wie zu Sowjetzeiten, der Ex-KP-Spitzenmann Nursultan Nasarbajew das ethnisch und religiös fragmentierte Land mit harter Hand. Und Turkmenistan gilt selbst für zentralasiatische Verhältnisse als diktatorisch bis hin zur Verschrobenheit: Um den Vorgänger des jetzigen Präsidenten Gurbanguly Berdymuchammedow, Saparmyrad Nijasow, hatte sich ein bizarrer Personenkult gerankt. Der 2006 verstorbene Ex-Kommunist ließ sich zum "Vater aller Turkmenen", zum "Türkmenbaschi" ausrufen; eine Hafenstadt, Schulen, Flughäfen und sogar ein Meteorit wurden nach ihm benannt. Im ganzen Land finden sich Denkmäler des Ex-Diktators, seines Vaters und seiner Mutter; in der Hauptstadt Aschgabat dreht sich noch heute die vergoldete Statue Nijasows einmal am Tag um die eigene Achse - immer der Sonne zugewandt. Dass ein solches Regime keine offenen internen Debatten zulässt, versteht sich von selbst.

Der EU-Sondergesandte für Zentralasien, Pierre Morel, der ebenfalls bei dem Termin zugegen war, reagierte auf Otunbajewas Demokratie-Elogen übrigens relativ ausweichend: "Das Vorbild Kirgistans lehrt uns eine Lektion - es gibt kein Modell, das zu jedem Staat passt", sagte Morel - und betonte die Notwendigkeit zur eigenständigen Entwicklung jedes Landes in der Region. Kein Wunder, gilt neben dem wirtschaftlich boomenden Kasachstan, in dessen Boden sich neben Öl und Gas auch seltene Metalle befinden, besonders auch Turkmenistan als Schlüsselland: Das geopolitisch wichtige zentralasiatische Land besitzt eines der größten Erdgasfelder der Welt und ist für die geplante Erdgaspipeline Nabucco, die die EU von russischen Lieferungen unabhängiger machen soll, extrem wichtig. Turkmenistan selbst ist sich seiner steigenden Bedeutung bewusst: Bereits im russisch-ukrainischen Gasstreit verwendete Kiew Lieferungen aus Aschgabad als Druckmittel gegen Moskau, und Turkmenistan kann gegenüber dem Kreml, falls dieser Druck ausübt, auf das rege europäische und chinesische Interesse an den eigenen Gaslieferungen verweisen.

Tonfall gut abgestimmt

Der Ton, den die kasachischen und turkmenischen Vertreter in Wien anschlugen, war jedenfalls ganz auf die europäische Zuhörerschaft abgestimmt: Während Orynbajew, Vertreter des reichen Kasachstan, auf das Hauptproblem Armut verwies, das "nicht alle Staaten in der Region gleichermaßen zu lösen imstande sind", sprach sein turkmenischer Amtskollege Japarow über die Hilfe seines Landes für den instabilen Nachbarn Afghanistan, dem Turkmenistan Öl zu verbilligten Preisen liefert. "Das trägt zur Entwicklung des Landes und damit zum Frieden in der Region bei", so Japarow.