Keine EU-Euphorie trotz Kroatien-Beitritts. | Wirtschaftskrise führt zu Renaissance nationaler Kräfte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Hat das europäische Ja zu einem kroatischen EU-Beitritt und die Verhaftung des bosnisch-serbischen Ex-Generals Ratko Mladic, die die serbische Beitrittsperspektive sprunghaft verbesserte, zu einer Europa-Euphorie am Westbalken geführt? Nein, glaubt der Balkan-Kenner Vedran Dzihic. "Die repräsentative Demokratie befindet sich derzeit überall am Balkan in einer sichtbaren Krise", sagte der Politologe im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Wirtschaftskrise, die besonders auch die ohnehin krisenanfällige Balkanregion getroffen hat, habe in der Bevölkerung zur Abkehr von den herrschenden Eliten und zu Protesten geführt. "In Serbien schöpft die nationalistische Opposition, die in den Umfragen seit Monaten stabil vorne liegt, den Protest gegen Korruption und Stagnation ab. Auch in Kroatien gibt es ähnliche Tendenzen", so Dzihic. Die Gehälter stagnierten, und der Glaube an das Wundermittel EU-Beitritt sinkt. "Europa wird am Balkan eben vor allem mit dem sprichwörtlichen Mercedes assoziiert, man erwartet sich ein besseres Leben", sagt Dzihic. Derzeit steige aber die Sehnsucht nach einem starken Mann.
Brennpunkt Bosnien
Besonders gefährlich ist die Situation laut dem Österreicher bosnischer Herkunft in Bosnien-Herzegowina: Das multiethnische Land stagniert und besitzt seit acht Monaten keine Regierung. Dass die bosnische Serbenrepublik ein Referendum zur gesamtstaatlichen Justiz auf EU-Druck hin kürzlich verschoben hat, ist da nur ein schwaches Zeichen für Hoffnung: "Man kann sagen, das Land bewegt sich nach hinten", sagt Dzihic. So würden etwa auch viele Kroaten die Bildung multiethnischer Parteien in Bosnien hintertreiben und lieber auf den bekannten "ethnischen Proporz" setzen - und der fördert nicht gerade die Einheit Bosnien-Herzegowinas.
Kosovo vor Teilung?
Wie Bosnien, so befindet sich auch der Kosovo in einer extrem angespannten Lage. Der serbische Vizepremier Ivica Dadic hatte kürzlich eine Aufteilung in Gebiete mit serbischer und albanischer Bevölkerung als einzig realistische Möglichkeit zur Lösung des Konflikts bezeichnet. Der Nordzipfel um Mitrovica würde dann an Serbien fallen. Dzihic sieht darin die Öffnung der Büchse der Pandora: "Dann würde diese Frage auch in Mazedonien oder Bosnien gestellt werden. Diese Länder sind kommunizierende Gefäße", sagte Dzihic.