Christoph Badelt, als Präsident des Fiskalrats auch Berater der Regierung, über die hohen Hürden für gute Lösungen.
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Am Dienstag erhielten die Regierungsmitglieder von ÖVP und Grünen bei ihrer Klausur ein Privatissimum von Christoph Badelt, dem Chef des Fiskalrats, der über die finanzielle Stabilität der Republik wacht. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm anschließend über seine Einschätzung der Lage im Detail wie im Grundsätzlichen.
"Wiener Zeitung": Was war der Kern Ihrer Botschaft an die Koalition?
Christoph Badelt: Meine Aufgabe war ein Gesamtbild der langfristigen Herausforderungen, vier waren mir besonders wichtig. Erstens, die budgetäre Konsolidierung, auch unter demografischen Aspekten. Zweitens, die Wirkung der Inflation, insbesondere auf sozio-ökonomisch schlechter gestellte Personengruppen, bei denen es nach wie vor Probleme gibt. Drittens, die Knappheit der Arbeitskräfte im Zusammenhang mit den ungenützten Potenzialen, vor allem bei Frauen, Älteren und schlecht Qualifizierten. Viertens, die sozial-ökologische Transformation mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.
Haben Sie sich gehört und verstanden gefühlt?
Ja. Die Klausur war nur ein besonderer Anlass eines Prozesses, der ohnehin läuft. Der Bundeskanzler, aber auch die Fachminister gehen mit Fachleuten gerne in Dialog. Nur in Ausnahmefällen erfahren das die Medien. Die meisten Regierungsmitglieder, mit denen ich zu tun habe, sind an Gesprächen sehr interessiert und lassen sich davon inspirieren.
Sie haben im Dezember vor sinnlosen Maßnahmen beim Krisenmanagement gewarnt. Welche meinen Sie?
Wir haben bei mehreren großen Fördermaßnahmen das Problem der Fokussierung. Bei den Hilfen für Haushalte ist das evident, wenn dieselben Beträge an Reiche und Arme ausgeschüttet werden. Das ist im großen Ausmaß passiert, das ist der Regierung auch klar. Es geht darum, endlich Daten zu haben, die es ermöglichen, ohne individuelle Anträge sozial gestaffelte Förderungen auszuzahlen. Das ist ein technisches Problem, an dem die Regierung arbeitet.
Wirklich nur ein technisches Problem? Die Regierung ist im Stimmungstief und hofft vielleicht, durch üppige Geldgeschenke besser dazustehen.
Das habe ich erst auch vermutet, bin dann aber eines Besseren belehrt worden. Das heißt, es gab schon Maßnahmen, bei denen eine breite Streuung bewusst in Kauf genommen wurde, um schnell zu sein, wie beim erweiterten Klimabonus. Bei der Strompreisbremse bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Es ist etwas im Werden. Wichtig wäre, Wohnadressen und Finanzamtsdaten zu verschränken, damit man Haushalte in einem Datensatz identifizieren kann. Dazu gab es bereits Arbeitssitzungen.
Seit der Pandemie sehen wir, dass reiche Staaten versuchen, sämtliche Risiken abzudecken. Kann das wieder zurückgeschraubt werden?
Aus der Sicht eines sozialpolitischen Forschers: Dieses Verständnis, dass die öffentliche Hand in Krisen nicht zulassen soll, dass ein Teil der Bevölkerung in echte Not gerät, hat es seit den großen Wirtschaftskrisen der 1930er immer schon gegeben. Ich bin daher nicht sicher, ob sich das Politikverständnis tatsächlich verändert hat. Jetzt zu Ihrer Frage: Gerade mein Pochen auf eine absehbare Budgetkonsolidierung versucht zu antizipieren, was es politisch bedeutet, wenn die Förderungen auslaufen. Da könnte ein großes Geschrei ausbrechen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich wie die meisten Ökonomen vor Gießkannen-Aktionen durch generelle Preiskontrollen oder Mehrwertsteuersenkungen warne. Sie sind verteilungspolitisch paradox, vor allem aber: Welche Regierung würde die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wieder erhöhen, wenn die hohe Inflation vorbei ist? Es entstünde ja auch wieder ein neuer Preisschub.
Der Abschied vom fossilen Zeitalter öffnet für lange das Feld für Subventionen und politisch gesetzte Rahmenbedingungen. Stellt das nicht Marktprozesse und Fiskalpolitik heraus?
Ja, schon, aber man muss sehen, dass der Investitionsbedarf allein schon für den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energie enorm ist und ohne Anreize für die Unternehmen nicht oder jedenfalls nicht so schnell gestemmt werden kann. Ordnungspolitisch ist es konsistent, mit Anreizen diese Investitionen auszulösen. Und die Anreize sind positiver und negativer Art: Die CO2-Steuer versucht, die Kosten zu erhöhen, die Förderungen sollen Investitionen auslösen. Dass sowohl Konsumenten als auch Unternehmen immer mehr haben möchten, ist sicher richtig. Genau da ist die Fiskalpolitik gefragt. Man wird sehen, ob es tatsächlich zu einer Reform der Stabilitätskriterien, also Maastricht, kommt oder nicht. Das ist auf EU-Ebene Thema, aber bis zu einer Vereinbarung ist es noch ein weiter Weg. In der Zwischenzeit gibt es die allgemeine Ausweichklausel, da ist die EU-Kommission krisenbedingt liberaler, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man das auf 15 Jahre verlängert. Dann gäbe es überhaupt keine Stabilitätsregeln mehr.
Eine Frage an Sie als Wissenschafter: Haben Sie das Gefühl, dass die Wirtschaftswissenschaften noch theoretisch gut gerüstet sind?
Es hat immer große Schulen der Wirtschaftswissenschaften gegeben, die zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen sind, eine objektive Wahrheit kann es hier ja nicht geben. Dann kamen die Krisen, die eine völlig neue Situation durch externe Entwicklungen verursacht haben. Darauf hat die Theorie, so ehrlich muss man sein, kurzfristig keine gute Antwort gehabt. Ich habe mir oft gedacht, man muss demütig sein, welche Antworten die Wirtschaftswissenschaft wirklich geben kann. Sie kann sicher eine gewisse Richtung vorgeben, dass zum Beispiel Interventionen angesichts der steigenden Teuerung nötig sind. Aber beim mittelfristigen Pfad finden sich schon große Meinungsdivergenzen. Ich glaube aber nicht, dass sich die Wirtschaftstheorie so entwickeln kann, dass die Wirtschaftstheorie jemals eine völlig unumstrittene Grundlage für die Wirtschaftspolitik liefern kann. Das wird in den Sozialwissenschaften nie passieren. Und dass die Prognosen unsicherer denn je sind, liegt vor allem daran, dass außerhalb der Wirtschaft große und überraschende Risiken eintraten.
In der Öffentlichkeit wird die Qualität der Politik allgemein und dieser Regierung besonders sehr kritisch analysiert. Trauen Sie Personal und Prozessen das Management der Krisen zu?
Ich erlebe, dass Politikerinnen und Politiker um gute Lösungen ringen. Das kann ich aus den vielen Gesprächen ehrlich sagen. Es gehört zur Demokratie, dass die Opposition das hervorkehrt, was besonders kritisch zu sehen ist. In der Wirtschaftspolitik generell und in Krisen besonders lassen sich bei jeder Maßnahmen Nachteile kritisieren. Wenn ich mir aber die Oppositionskritik ansehe, ist diese zum Teil ökonomisch problematisch. Auch die SPÖ könnte ihre Forderungen nach Preisfestsetzungen und Steuersenkungen nicht finanzieren und daher nicht umsetzen. Die Neos haben eine sehr klare Linie, aber nur mit Liberalisierungsschritten wird es eben auch nicht gehen. Und die Freiheitlichen haben sich aus der ernsthaften Sachdiskussion abgemeldet. Wenn Sie mich nun fragen, ob ich der Regierung große Lösungen zutraue: Grundsätzlich schon, aber ich merke, dass der politische Wettkampf so intensiv geworden ist, dass konstruktive Lösungen großer Themen verhindert werden.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die Forderung nach Anpassung des Pensionsalters an die verlängerte Lebenserwartung. Das ist eine enorm schwierige, soziale Frage, die man über die Grenzen der Parteien ernsthaft diskutieren müsste. Das kann man nicht mechanistisch durch eine Anhebung parallel zur Lebenserwartung lösen, weil dies weder praktikabel noch sozial gerecht wäre. Die Lebenserwartung steigt für unterschiedliche Gruppen unterschiedlich stark an. Man muss sich sehr ernsthaft der Frage stellen, wie man so eine Anpassung vornehmen kann. Aber egal, wer gerade regiert: Wenn die anderen immer sofort Feuer schreien, wird sich das niemand je trauen. Das gilt mittlerweile für viele Themen, etwa auch die Finanzierung des Gesundheitssystems. Ich beobachte hier einen zunehmenden Populismus, der wie eine Krankheit in alle Parteien hineinwächst. Das macht gute Lösungen schwieriger.