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Einst Schamanen, heute Politikberater: Höhere Mächte würden ohne professionelle Exegeten alt aussehen.
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Das Bild, das die Medien von der Politik zeichnen, ist zugegeben wankelmütig. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Tatsächlich schwankt die mediale Darstellung des politischen Alltags zwischen zwei Extremen: Zwischen Unfähigkeit auf der einen und berechnender Strategie auf der anderen Seite. Letzteres ist nach allem menschlichem Ermessen schlicht falsch, Ersteres hoffentlich auch. Die unterstellte Unfähigkeit ist eher jüngerer Natur.
In den guten alten Zeiten überwog noch die vage Kompetenzvermutung das Verhältnis der Regierten zu ihren Regierenden: Die da oben würden schließlich schon wissen, was sie tun. Und falls die Untertanen doch einmal darauf beharrten, das partout anders sehen zu wollen, sorgten kleinere oder größere Revolutionen in unregelmäßigen Abständen für eine entsprechende Neubestimmung der Beziehung.
Das ist natürlich auch heute noch tadellos möglich, also theoretisch jedenfalls, aber davon abgesehen ist fast nichts mehr so, wie es einst war. Dass nunmehr etwa ausgerechnet solche Medienerzeugnisse am lautesten und heftigsten die These vom Generalversagen der Regierenden ihren Lesern verkünden, die von den Regierenden am üppigsten mit regierungsnahen Inseratenschaltungen bedacht werden, ist ein Rätsel, das wohl erst kommende Forschergenerationen lösen werden. Mit Machiavelli, Carl Schmitt und Silvio Berlusconi als Erklärungsstützen allein kommt man hier jedenfalls nicht weiter. Was das andere Extrem der Politik-Beurteilung angeht, die Unterstellung erheblicher strategischer Weitsicht, wissen die Akteure, bei wem sie sich bedanken dürfen: bei den Politikberatern, die sich seit einigen Jahren über steigende Nachfrage freuen können. Was nicht wirklich verwundert, schließlich tendiert das Handeln der Parteien in in einem Ausmaß, das durchaus Sorgen bereiten sollte, dazu, mehr Fragen als Antworten aufzuwerfen. Wenn daher die Medien, Unternehmen und sogar ganze Interessengruppen wieder einmal nicht wissen, wie zu verstehen sein soll, was denen da oben jetzt schon wieder eingefallen ist, dann wendet man sich heutzutage vertrauensvoll an Politikberater und Parteienexegeten.
Diese sind unermüdlich auf der Suche nach Hinweisen, dass hinter dem Handeln unserer Regierenden doch ein Plan steckt - irgendwo und irgendwie, aber eben doch ein Plan. Mit einem solchen verwandelt sich auch noch die wildeste Volte vorwärts oder rückwärts als End- oder meinetwegen Zwischenresultat einer im Vorhinein kühl berechneten Strategie. Das ist insofern von erheblicher Bedeutung für die Stabilität des größeren Ganzen, als man als normalsterblicher Bürger den Glauben an diese Möglichkeit ja längst aufgegeben hatte. Doch dann kommen die Politikexperten - und mit einmal steht die Innenpolitik ein kleinwenig vernünftiger da. Nicht besser, aber eben doch mit einem Hauch von ziel- und nutzenorientierter Planung. Dabei sind all die Erzählungen von den großen Strategen in den Reihen der Parteien zu 99 Prozent Unsinn. Nicht, weil die Personen unfähig wären, es sind nicht selten die Umstände, die ein generalstabsmäßiges Vorgehen unterbinden. Was wiederum nur logisch ist für Gesellschaften, die Probleme haben, Probleme auch als solche zu identifizieren.