Laut einer McKinsey-Studie birgt die Digitalisierung noch enormes wirtschaftliches Potenzial. Doch vor allem in Europa zögern viele Unternehmen, wenn es darum geht, neue Technologien zu implementieren.
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Wien. Knapp 4,5 Millionen Menschen kauften "Ten Summoner’s Tales", das 1994 erschienene Album von Sting. Einer von ihnen sollte mit seiner erstandenen CD Weltgeschichte schreiben. Es war an einem Nachmittag am 11. August 1994. Der damals 21-jährige Unternehmer Dan Kohn sitzt vor dem Computer in seinem Haus in New Hampshire, eine Autostunde nördlich von Boston. Er wagt das bis dahin Unmögliche.
Über seine Website bietet er einem Freund aus Philadelphia die CD von Sting an. Der Freund nutzt seine Kreditkarte und kauft sie ihm online ab. Es war der erste, weltweite Verkauf über das Internet, die erste Online-Transaktion, drei Jahre nach Start des Internets. Der Online-Deal zwischen den beiden Freunden läutete eine neue Ära ein, der Deal öffnete die Tore für eine milliardenschwere Industrie.
25 Jahre später und viele Entwicklungsschritte weiter ist das Web in nahezu alle Lebensbereiche eingedrungen - mit gravierenden Auswirkungen ähnlich der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Technologien wie künstliche Intelligenz, datenbasierte Geschäftsmodelle, Automatisierung von Prozessen, Roboter stehen bereit, um die analoge Welt zu ersetzen. So wie die industrielle Revolution vor 200 Jahren kann dieser Prozess nicht mehr gestoppt werden. Es muss daher diskutiert werden, wie sich die Digitalisierung auf das Leben auswirken wird, wie viele Arbeitsplätze wegfallen, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Lösung sein kann. Für die Unternehmen geht es darum, Wege zu finden, um in einer digitalen Welt nicht den Anschluss zu verpassen.Die Unternehmensberatung McKinsey Global Institute (MGI) beschäftigt sich seit Jahren mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Menschen, Volkswirtschaften und Unternehmen. So könne die Digitalisierung im nächsten Jahrzehnt weitere 13 Billionen US-Dollar an wirtschaftlichem Wert freisetzen.
Der "Wiener Zeitung" liegen nun zehn zentrale Forschungsergebnisse der Unternehmensberatung vor. Sie wurden anlässlich des 25-jährigen Geburtstags der ersten Online-Transaktion zusammengestellt:
Die Wirtschaft nutzt nicht ihr Potenzial
Nur durchschnittlich 20 Prozent des gesamten digitalen Potenzials werden in europäischen Ländern, in den USA und in China genutzt. Dabei wird der Produktionsgewinn eines Unternehmens sichtbar, sobald es digitale Technologien in konkreten Geschäftsprozessen einsetzt. Derzeit werden 26 Prozent der weltweiten Verkäufe online getätigt.
Europäische Betriebe hinken hinterher
20 Prozent der alteingesessenen Unternehmen sind nicht digital aktiv. Von den anderen 80 Prozent generieren nur ein paar Betriebe mehr Einnahmen über digitale, als über traditionelle Kanäle. Der Markt gehört jedoch ihnen: Die zehn Prozent der Traditionsbetriebe mit dem größten generierten Umsatz sind für knapp 80 Prozent des gesamten digital generierten Branchenumsatzes verantwortlich. Sie kommen vor allem aus den USA, wo es 50 Prozent mehr Traditionsbetriebe als in Europa gibt, deren Einnahmen aus digitalen Quellen stammen.
Junge Digitalunternehmen fordern Traditionsbetriebe
Junge Digitalunternehmen verändern zunehmend den Markt, vor allem im Retail-Bereich. Derzeit profitieren nicht-digitale Traditionsunternehmen zwar noch von einer bestehenden Ertragsbasis, von einem bestehenden Kundenstock, doch die Umsätze werden weniger. Während die Umsätze von digitalen Start-ups noch gering sind, ist ihr Anteil am digitalen Umsatz umso bedeutsamer. Digitale Start-ups generieren heute durchschnittlich und branchenübergreifend mehr als 50 Prozent des gesamten digitalen Umsatzes.
Digital verschiebt Branchengrenzen
Unternehmen, die digitale Technologien nutzen, um in andere Branchen vorzudringen, verzeichnen einen 25 Prozent höheren Umsatz, als Unternehmen, die das nicht tun. Gleichzeitig erhöhen diese unbekannten Marktteilnehmer den Wettbewerbsdruck.
Digitale Unternehmen sind risikofreudig
Digital Natives sind mutiger. Nach dem Motto "Wer wagt, gewinnt" investieren sie - nach der Methode von Versuch und Irrtum - mehr Kapital in benachbarten Branchen. Sie verzeichnen höhere Gewinnzuwächse als andere.
Der Weg zum Erfolg führt über Plattformen
Das Kommunikationsmittel ist entscheidend. Egal, ob ein Unternehmen eine Plattform betreibt, Teil einer Drittanbieter-Plattform ist, mit einer globalen Plattform kooperiert oder konkurriert: Jede Form der Plattform-Interaktion kann die Einnahmen in die Höhe treiben. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass traditionelle Unternehmen, die Drittanbieter-Plattformen nutzen, die höchsten Wachstumsraten erzielen. Die Entwicklung einer eigenen Plattform ist hingegen eine besondere Herausforderung. Schließlich haben sich in den meisten Märkten bereits globale Plattformen breitgemacht. Bestehende Plattformen für sich zu nutzen, ist der erfolgreichste Weg.
Die Gefahr der Selbst-Kannibalisierung
Etablierte Unternehmen zögern bei der Verschiebung in digitale Umsatzkanäle. Der Grund: Digitale Produkte sind meist günstiger als physische. Es kommt daher für gewöhnlich kein neuer Umsatz hinzu beziehungsweise schmälert es den Umsatz bis zu 30 Prozent. Derzeit sind 50 Prozent der verkauften digitalen Produkte ident mit ihrem analogen Vorgänger. Medien stellen etwa Zeitungsartikel online, für die nicht bezahlt werden muss. 25 Prozent des digitalen Umsatzes kommen von verbesserten Produkten. Beide Szenarien bergen die Gefahr der Selbst-Kannibalisierung. Das Schicksal der Selbst-
Kannibalisierung kann jedoch umgangen werden, wenn das Unternehmen in neue Branchen vordringt und neue Produkte entwickelt.
Fusionen machen verlorenen Boden gut
Derzeit werden Fusionen und Übernahmen noch verfolgt, um Digitalisierung abzuwehren. Diese Art von Fusionen und Übernahmen können jedoch immer nur eine vorübergehende Reaktion auf digitale Störungen sein und sind Opportunitätskosten für den Unternehmer. Dabei können mit Zukäufen Fähigkeiten (zum Beispiel Softwareentwickler) erworben werden, mit denen digitale Defizite ausgeglichen werden können. Eine gezielte Strategie kann traditionellen Unternehmen helfen, neue Talente zu rekrutieren, digitale Fähigkeiten gezielter aufzubauen und Innovationen voranzutreiben.
Digitale Transformation ernüchtert
Mehr als die Hälfte der Erwartungen in Bezug auf die digitale Transformation werden enttäuscht. Nur in einem von zehn Fällen werden die Erwartungen übertroffen. Um digitale Ambitionen zu verwirklichen, müssen fünf Voraussetzungen erfüllt sein: ein klares Bekenntnis zur Umsetzung, ein Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung, genügend Ressourcen, flexible und agile Arbeitsweise, Anwerben von digitalen Topmitarbeitern. Nur zehn Prozent aller Unternehmen erfüllen alle fünf Anforderungen.
Die nächste Welle der Digitalisierung läuft
Künstliche Intelligenz, Kryptowährungen, selbstfahrende Fahrzeuge treiben die nächste Digitalisierungswelle voran. Vor allem in künstlicher Intelligenz steckt viel Potenzial. So könne die EU-28 ihre Wirtschaftsleistung durch eine Fokussierung auf künstliche Intelligenz bis 2030 um 19 Prozentpunkte (2,7 Billionen Euro) steigern, ohne negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.