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Die Dinosaurier der linken Protestkultur

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Über den Ausnahmezustand beim G20-Gipfel in Hamburg.


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Die Hamburger Szenen beim G20-Gipfel sind ganz aktuell. In einem nachdrücklichen Sinn - nicht einfach nur kalendarisch. Sie sind auch aktuell, weil sie symptomatisch sind. Das ist umso erstaunlicher als dass der "Schwarze Block", der dort ein deutliches kann man es Lebenszeichen nennen? gegeben hat, dieser "Schwarze Block" eigentlich ein Auslaufmodell ist. Übrig geblieben als Hüter des schal gewordenen Grals einer diffusen "Radikalität" (ein Gral, der sonst nur noch in der Kunstszene verehrt wird, wo er erbitterten Distinktionskämpfen Vorschub leistet). Seine Hochzeiten hatte er in den 1980er und 1990er Jahren. Heute sind die Autonomen, die noch einen "Schwarzen Block" mit seiner Massenmilitanz und seiner Einheitlichkeit bilden, Überbleibsel aus einer anderen historischen Protestepoche. Sie sind die Dinosaurier der linken Protestkultur.

Was war nun das Setting in Hamburg?

Auf der einen Seite die demokratiefreie Zone des G20-Gipfels. Demokratiefrei nicht nur ob mancher Gäste, sondern auch, weil Teile der Stadt in Sicherheitszonen verwandelt wurden. Sonderzonen, in denen nicht nur Sonderregeln gelten. Sonderzonen, die auch die Mächtigen dieser Welt abschotten. Das ist das Bild: abgeschottete Eliten in ihrer Parallelgesellschaft. Flankiert von Einsatzkräften, die gleich am ersten Abend bei der ersten Demonstration massiv eingegriffen haben. Die Polizei nennt es präventiv, die anderen nennen es eskalierend. Die nachfolgenden Ereignisse haben diesen semantischen Disput entschieden: Präventiv war da nichts. Das war der erste Hamburger Ausnahmezustand.

Auf der anderen Seite der "Schwarze Block" mit all seinen Besonderheiten - schwarze Kleidung, Vermummung, Aggression, Gewalt. Diese Autonomen wollen nur spielen - Krieg spielen. Von daher rührt auch die große Diskrepanz zwischen ihren proklamiertem Ziel - dem "Untergang des Kapitalismus" - und dem, was sie als Erfolg verbuchen: das Recht auf Schlafen in den Camps durchgesetzt zu haben! Die Protokollstrecken blockiert zu haben! Den Gipfel verzögert zu haben!

Aber da war noch etwas in Hamburg. Etwas war anders. All die veralteten Scheußlichkeiten, all diese Relikte haben etwas getroffen. Etwas Gegenwärtiges. Sie haben eine heute weitverbreitete, eine grundlegende politische Verfasstheit getroffen - die grassierende apokalyptische Stimmung. Plötzlich wirkten die Dinosaurier wie eine Bebilderung dieser um sich greifenden Untergangsstimmung, wie die Inszenierung einer Hoffnungslosigkeit, die demokratischen Auswegen immer weniger traut. Es ist unsere Hoffnungslosigkeit, die diesen Überbleibseln neues Leben einflößt. Und zugleich haben diese vorgeführt, wo Krawalle ohne politisches Projekt, wo Apokalypse ohne Hoffnung münden: in enthemmten Randalen und in sinnloser Gewalt. Das war der zweite Hamburger Ausnahmezustand.

Ein Ausnahmezustand, der sich genau mit derselben Enthemmtheit ins Mediale fortsetzt: in die Täterfahndung per Titelbild der Bild-Zeitung und in die Lynchstimmung der Social Media. Hier werde der "emotional getriebene Extremismus der Einzelnen", so Sascha Lobo, hervorgekehrt. Das ist der dritte Hamburger Ausnahmezustand.